Das Herz des Buddhismus
"Nicht-Selbst" Anattâ
"Diese Lehre von der Unpersönlichkeit besagt, dass es weder innerhalb
noch außerhalb der körperlichen und geistigen Daseinserscheinungen irgend
etwas gibt, das man im höchsten Sinne als eine für sich bestehende, unabhängige
Ich-Wesenheit oder Persönlichkeit bezeichnen könnte. Es ist dies die Kernlehre
des ganzen Buddhismus, ohne deren Verständnis eine wirkliche Kenntnis
des Buddhismus schlechterdings unmöglich ist …, mit der das ganze buddhistische
Lehrgebäude steht und fällt ...
Die Anattâ-Lehre wurde in ihrer vollen Klarheit nur vom Buddha gewiesen,
weshalb der Buddha auch als der Anattâ-Vâdi, der Verkünder der Unpersönlichkeit,
bezeichnet wird.
Wer die Unpersönlichkeit des ganzen Daseins nicht durchschaut hat und
nicht erkennt, daß es in Wirklichkeit lediglich diesen beständig sich
verzehrenden Prozess des Entstehens und Vergehens geistiger und körperlicher
Daseinsphänomene gibt, aber keine Ich-Wesenheit in oder hinter diesen
Daseinserscheinungen, der ist außer Stande, die vier Edlen Wahrheiten
(Anm.: vom Leiden, der Leidensursache, dem Leidensende, sowie dem Weg
dahin) im richtigen Lichte zu erfassen.
Er wird glauben, dass es eine Ichheit, eine Persönlichkeit sei, die das
Leiden erfahre …, eine Persönlichkeit, die ins Nirvâna eingehe; eine Persönlichkeit,
die auf dem Achtfachen Pfade der Befreiung wandle."
Der erste buddhistische Mönch
Festlandeuropas, der im Buddhismus berühmte deutsche Gelehrte Nyanatiloka
(1878-1957)
Der Buddha hat konsequent verneint, dass all diejenigen
geistig-körperlichen Faktoren, auf welche man stößt, wenn man nach dem
"Ich" oder dem "Mein" sucht, dieses "Ich" oder dieses "Mein" tatsächlich
wären: Was vergänglich und damit nicht-hinreichend ist, kann nicht
das "Ich", das "Mein" oder mein "Selbst" sein, heißt es häufig. Dies ist seine Lehre vom "Nicht-Selbst". Sie beinhaltet
also keine abstrakte Leugnung des "Ich", sondern eine Leugnung des "Ich"
bloß in bezug auf jene erwähnten geistig-körperlichen Faktoren. Der Buddha
hatte mit dem "Nicht-Selbst" ausschließlich eine Praxis im Sinn (und keinen
theoretischen "Lehrsatz"): Das Nicht-Selbst gilt es in der meditativen
Betrachtung allmählich und direkt zu "erschauen".
Lambert Schmithausen, Professor der
Indologie
"Du bist nicht, was du denkst zu sein. Wenn du dies erkennst,
bist du frei."
Der westliche Theravâda-Ordinierte
S. Dhammika
"Flusshaft-vergänglich sind alle bedingt entstandenen
Phänomene. Wenn man dies mit dem Auge der Weisheit erschaut, entsteht
Überdruss am Leiden. Hier liegt der Pfad zur Freiheit. Letztlich nicht-tragfähig
oder nicht greifbar sind alle bedingt entstandenen Phänomene. Wenn man
dies mit dem Auge der Weisheit erschaut, entsteht Überdruss am Leiden.
Hier liegt der Pfad zur Freiheit. Das Nicht-Selbst sind alle bedingten
und unbedingten Dinge. Wenn man dies mit dem Auge der Weisheit erschaut,
entsteht Überdruss am Leiden. Hier liegt der Pfad zur Freiheit."
"Wenn das stete Entstehen und Vergehen alles Körperlichen
wie Geistigen gesehen wird, entsteht wahre Freude. Hier liegt das Reich
des Todlosen."
Der Buddha, im "Pfad der Natürlichen
Wahrheit" Dhammapada, Pali-Kanon
"Es
gibt nur einen ,Satan': Selbst-Sucht."
"Wahre Praxis bedeutet, über den Einfluss
von ,gut' und ,schlecht' hinausgelangt zu sein. Denn ,gut'
und ,schlecht' sind bloß relative Wahrheiten. Sie gehören
genauso zum Strom des Entstehens in Abhängigkeit wie alles
andere auch. So sind sie letztlich kein ,Selbst', keine ,Seele',
kein ,Ding'.
Buddhismus ist die Religion der Leerheit
von einem Selbst."
Der
thailändische Theravâda-Meister Ajahn Buddhadâsa
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"Ich sehe keine Lehre vom Selbst, die, wenn sie ergriffen
wird, nicht Unglück, Wehklagen, Schmerz, Kummer und Verzweiflung hervorbrächte."
Der Buddha, im "Gleichnis von
der Schlange" der Mittleren Sammlung, 22, Pali-Kanon
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Rahula, Sohn des Buddha -
frei, verstehend,
mitfühlend
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"Der Buddhismus ist unter den Religionen der Welt einzigartig,
weil es in seiner Erlösungslehre keinen Platz für Gott gibt.
Die meisten asiatischen Religionen (mit der Ausnahme vielleicht mancher
besonders devotionaler Formen des Hinduismus) sind im Grunde nicht-theistisch,
und zwar in dem Sinne, dass Gott hier nicht die zentrale Stellung hat,
die ihm die monotheistischen Religionen zuschreiben. Aber der Buddhismus geht über die meisten dieser
Religionen noch hinaus, weil er im positiven Sinne anti-theistisch ist.
Denn es ist hier gerade die Vorstellung eines Gottes, die im Konflikt
mit einigen Prinzipien steht, die grundlegend für die buddhistische Sicht
von der Welt und der Rolle des Menschen in ihr sind … Der Pfad der Buddha
kann nicht beschritten werden, wenn eine Person von der Vorstellung eines
Gottes verleitet ist. Aus diesem Grunde ist ein korrektes Verstehen der
Verzweigungen der Gottesidee unabdingbar für jeden, der auf dem buddhistischen
Pfade zur vollkommenen Befreiung voranschreiten möchte."
Aus The
Buddhist Attitude to God, von Dr. V. A. Gunasekara
Viele
Christen, die Theosophen und moderne Integralisten wie Ken
Wilber glauben: "Gott ist das Wahre Selbst im Menschen."
Einige moderne Anhänger des Mahâyâna-Buddhismus, sowie der
Lehre von der "Nicht-Zweiheit" (Advaita, heute oft
Satsang) des philosophischen Hinduismus glauben: "Das
Wahre Selbst im Menschen ist das Nicht-Selbst." Gelegentlich
wird aus diesen beiden Lehren der Schluss gezogen: "Gott
ist das Nicht-Selbst."
Die Antwort des Buddha im frühen Buddhismus
Theravâda lautet: "Alle Dinge (im Bereich des Bedingten
und das Unbedingte) sind das Nicht-Selbst"; oder, mit
den Worten Nâgârjunas, des einflussreichsten Kommentator des
Buddha: "Alles ist leer", ohne "Eigenwesen"
(Svabhâva). Deshalb ist hier nichts ein "Wahres Selbst"
oder ein "Gott". Der Buddhismus ist die einzige
atheistische Weltreligion.
Warum ist er atheistisch? Die Vorstellung
vom "Selbst" bildet die Quelle von Durst und Ergreifen
dessen, was im Fluss ist, dies heißt von Angst und Leiden.
Auch zu Buddhas Zeit gab es eine Vielzahl
religiöser Lehren, ähnlich wie heute. Trotzdem kommt in den
Reden des historischen Buddha im Pali-Kanon keine einzige
Stelle vor, wo er sagen würde, dass er mit "Nirvâna",
"Dharma", "Nicht-Selbst", "Leerheit",
"Abhängiges Entstehen" oder "(höchste) Wahrheit"
im Grunde das Gleiche wie andere Lehrer seiner Zeit etwa mit
"Gott" oder "Wahrem Selbst" meinten.
In den Reden des Erwachten wird durchweg
nüchtern und klar unterschieden, wo es um das Verhältnis zu
anderen Lehren geht, wenngleich immer mit Souveränität, Gleichmut
und heilsamer Absicht.
Eine heute weit verbreitete Relativierung
ist die These, dass sich alle spirituellen Meister, wenn sie
die Wahrheit verwirklicht hätten, einig wären, bzw. die unterschiedlichen
Lehren nicht mehr wichtig nähmen. In diesem Kontext wird
etwa "Gott" mit dem "Wahren Selbst", oder letztere beiden
mit dem "Nicht-Selbst" gleichgesetzt.
Solche Relativierungen dienen psychologisch
betrachtet auch häufig der Abwehr von Kritik, mit dem
Argument, (als Implikation jener These, dass die Verwirklichten
die unterschiedlichen Lehren nicht mehr wichtig nähmen)
Kritik sei Kennzeichen einer "unerleuchteten Haltung".
In dieser Weise werden nicht selten eigene Überlegenheitsansprüche,
Dünkel, die Unfähigkeit zu rednerischer Auseinandersetzung,
und problematische Lehren spirituell verbrämt bzw. als
Kennzeichen einer wahren Verwirklichung hingestellt.
Der historische Buddha unterscheidet durchweg
klar, also ohne dies andernorts wieder zu relativieren. Er
schreibt vielmehr dem klaren Denken eine zentrale heilsrelevante
Funktion zu. Das erste, wichtigste und führende Glied
des kulturübergreifenden Befreiungsweges zum Beispiel
ist "Treffliche Sicht", welche die befreiende Erkenntnis
vorbereitet. Im alten Indien herrschte der Geist, dass sich
die Verkünder anderer Lehren, die vom Erwachten überzeugt
worden waren, nicht selten mit ihrer Anhängerschaft neu
zu dessen Lehre bekannten.
Relativierung bzw. Synkretismus sind eine
moderne Eigenart, zu der es im alten Indien keine Parallele
gegeben hat. Ihre Wurzel ist die "Haltemacht" des
monotheistischen Glaubens über das Unbewusste der Menschen,
die (häufig in Verbindung mit der Theosophie) eine anders
strukturierte Lehre wie die buddhistische nicht anerkennt.
Diese unbewusste Haltemacht führt dazu,
dass andere Lehren durch die Brille des Glaubens an Gott erscheinen.
So kommt es zu den eigenartigen modernen Verbindungen und
Hybrid-Religionen, die alleine über die Ausschaltung
des klaren Unterscheidungsvermögens möglich sind,
bzw. dem Geiste des Erwachten fernlagen. Sie zeigen im Grunde
nur einen Zustand von Unfreiheit, nämlich jene skeptisch
zu betrachtende "Haltemacht".
Wodurch ist diese begründet? Die Antwort:
Der Gott- und Seelen-Glaube ist der menschliche
Ich- und Mein-Glaube in seiner metaphysisch überhöhten Form,
das unbewusst machtvollste Rückversicherungsprojekt des "Selbst"
in der Geschichte.
Was ist das Problem an dieser Rückversicherungsfunktion?
Solange es um ein Selbst geht, sei es ein
"kleines" oder "großes", ein "konventionelles"
oder "wahres", ein "göttliches" oder "teuflisches",
wird man sich darum drehen. Solange man sich darum dreht,
ist man in Rotation - unfrei, unklar, unruhig. In diesem Zustand
ist man nicht, was man sein könnte - wahrer Mensch.
Was ist der Weg und das Ziel in der universellen
Praxislehre des Erwachten?
Die Achtsamkeit ist das, womit gesehen wird.
Das Abhängige Enstehen aller Dinge bzw. die universelle Leerheit
von "Eigenwesen" oder "Selbst" ist das,
was im gleichen Maße befreit, wie es gesehen wird. Diese
Befreiung von Leiden und Angst bedeutet auch die volle Öffnung
des Herzens in der letztlichen Ungetrenntheit aller Dinge
(vgl. zu diesem Zusammenhang auch das Resümee der buddhistischen
Lehre auf der Eröffnungsseite der Website)."
Indologe und
Autor Hans Gruber
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"Es heißt, Gott habe die Menschen nach seinem Ebenbild
erschaffen. Vielleicht haben die Menschen Gott nach ihrem Ebenbild erschaffen.
"
Vipassanâ-Meister Satya Narayan Goenka
Eigendünkel oder Selbstvergleiche überdecken die universelle
Wahrheit des Nicht-Selbst. Der Schluss: "Alles, was du so erkennen wirst,
ist das Selbst, Ich, Mein. Buddhismus heißt Loslassen des Selbst, Leerheit,
Nirvâna."
Der thailändische Theravâda-Meister
Ajahn Chah
"Wie die Sommersonne am klaren Himmel die Dunkelheit
ausschließt, leuchtend und hell, lässt die praktizierte und entwickelte
Bewusstheit des Flusshaft-Vergänglichen alles Verlangen, alles Nichtsehen
und jeden Eigendünkel zu Ende kommen."
"Freudenausrufe der Erwachten" Theragâtha,
Pali-Kanon
"Ein
erwachender Mensch hört auf, nach dem Bedingten zu dürsten,
das im Fluss ist, letztlich nicht tragen kann, im allumfassenden
Nicht-Selbst. So wächst er ins Unbedingte, Todlose, Nirvâna."
"Buddha ist der Mensch in Wahrheit."
"Ein Bodhisattva oder werdender Buddha sieht
die Natur (der Phänomene), und ruht im ungreifbaren Nicht-Selbst
aller Dinge. So ist er oder sie frei von Spaltung oder Rotation,
und es kann das Wesen des Menschen hervortreten, das weltumarmende
(Nicht-)Selbst:
Liebe, Mitgefühl oder Mitfreude in Gleichmut."
Indologe und
Autor Hans Gruber |
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"Wir dürfen die Themen Vergänglichkeit, Unbefriedigende
Natur und Nicht-Selbst-Sein nicht leicht nehmen. Sie sind nicht etwa bloß
Angelegenheiten für Alte oder Worte für einen Sterbenden. Sie sollten
im Alltag verwandt werden. Denn eine Person, die fähig ist, die Vergänglichkeit,
die Unbefriedigender Natur und das Nicht-Selbst-Sein aller Dinge zu benutzen,
um ihren Alltag zu meistern, besitzt den perfekten Antikörper. Für sie
können Gestalten, Geräusche, Gerüche, Geschmäcker oder Empfindungen nicht
mehr zu Giften werden. So erfährt sie wahre Sicherheit, Freiheit, Friede."
Theravâda-Meister Ajahn Buddhadâsa
Eine
schöne Formulierung des "allbezogenen, ungetrennten Nicht-Selbst"
bzw. des "Weltumarmenden Selbst in Liebe, Mitgefühl oder Mitfreude"
in westlicher philosophischer Sprache stammt von Arthur Schopenhauer,
dem ersten deutschen ,Buddhaisten', wie er sich selber nannte:
"Sieh
dich doch um! Was da ruft ,Ich, ich, ich will da sein', das
bist du nicht allein, sondern alles, durchaus alles, was nur
eine Spur von Bewusstsein hat. Folglich ist dieser Wunsch
in dir gerade das, was nicht individuell ist, sondern allen
ohne Unterschied gemein. Er entspringt nicht aus der Individualität,
sondern aus dem Dasein überhaupt, ist jedem, das da ist, wesentlich,
ja ist das, wodurch es da ist, und wird demgemäß befriedigt
durch das Dasein überhaupt, auf welches allein er sich bezieht.
Er wird befriedigt nicht aber ausschließlich
durch irgendein bestimmtes, individuelles Dasein, da er auf
ein solches gar nicht gerichtet ist. Trotzdem hat es jedesmal
den Schein hiervon, weil er nicht anders als in einem individuellen
Wesen zum Bewusstsein gelangen kann und deshalb jedesmal auf
dieses allein sich zu beziehen scheint.
Dies ist jedoch ein bloßer Schein, an welchem
zwar die Befangenheit des Individuums klebt, den aber die
Reflexion zerstören und uns davon befreien kann. Was nämlich
so ungestüm das Dasein verlangt, ist bloß mittelbar das Individuum;
unmittelbar und eigentlich ist es der Wille zum Leben überhaupt,
welcher in allen einer und derselbe ist."
Der Philosoph
Arthur Schopenhauer
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"Sein (Nicht-)Selbst in allem wiedererkennend, durchstrahlt
ein (wahrer) Mensch die Welt mit einem Herzgeist voller Liebender Güte,
Mitgefühl und Mitfreude in Gleichmut - mit einem großen, erhabenen und
unbegrenzten Herzgeist."
Der historische Buddha
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