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Vorwort zu den "Buddhistischen Monatsblättern",
Ausgabe 4/ 2004, und der Beitrag für die Buddhismus-Sparte des
Sonderheftes von "connection" zum Thema "Die Liebe und ihre
Widersacher".
Erst wenige Jahre alt, hat uns das neue Jahrtausend bereits
mit einer enormen Palette von Gewalt konfrontiert: Die Gemetzel und Flüchtlingskatastrophen
im Sudan, die nicht enden wollenden Kämpfe im Irak (nicht bloß zwischen Irakern und Amerikanern, vor allem heute auch zwischen Sunniten und Schiiten, also zwischen Muslimen), in Afghanistan, die terroristischen Anschläge unter anderem in
New York, Madrid und Bali sowie der ewige Konflikt zwischen israelis und den Palästinensern. Auch hinter von den Medien kaum beachteten Massakern,
wie der von islamistischen Milizen betriebenen "ethnischen Säuberung"
der buddhistischen Minderheit in Bangladesh, oder den blutigen Schlachten
zwischen christlichen Fundamentalisten und Islamisten in Nigeria (seit 1999 gab es über 10 000 Toten) sind fundamentalistische Strömungen der
monotheistischen Religionen Islam und Christentum treibende Kräfte.
Die Rache Gottes? Was hier an dem letzteren Beispiel vor allem interessiert, ist der Name der Operation "Regenbogen"? Dieser Name bezieht sich nämlich auf einen Text im Alten Testament (1. Moses 9: Gottes Bund mit Noah nach der "Sintflut"), in dem Gott den Regenbogen als Zeichen des Bundes zwischen sich selbst und Noah beschreibt; und verknüpft mit dem Versprechen, dass "hinfort keine Sintflut mehr kommen soll". Es ist ein höchst rachsüchtiger Gott, der in gleichen Passage dann noch sagt: "Auch will ich euer eigen Blut, das ist das Leben eines jeden unter euch, rächen." Das Konstrukt eines schützenden Gottes, der bereit ist, für sein "auserwähltes Volk" in brutalster Weise Vergeltung zu üben, diente dem isralesischen Militär also als Legitimation für großangelegte Racheaktionen an palästinensischen Zivilisten. Auf der anderen Seite stehen islamistische Selbstmordattentäter, die im Nahostkonflikt immer wieder israelische Zivilisten mit in den Tod reißen - im Glauben, dann als Märtyrer ins Paradies zu kommen. Auch der Koran kann gut zitiert werden, um das eigene Handeln, und sei es noch so aggressiv, zu rechtfertigen: "Diejenigen, die gläubig sind, kämpfen um Gottes willen, diejenigen, die ungläubig sind, um der Götzen willen." Sehr deutlich wird Sure 9/5: "Tötet die Heiden, wo Ihr sie trefft, ergreift sie, belagert sie und lauert ihnen auf." Aber h eilige Krieger kennt ebenfalls die Bibel. Durch den Propheten Jesaia verkündet der monotheistische Gott hier zum Beispiel (13 / 3 u. 16): "Ich habe diese alle zusammengerufen, damit sie meinen Zorn vollstrecken. Vor ihren Augen sollen ihre Kinder zerschmettert, ihre Häuser geplündert und ihre Frauen geschändet werden." Ein bekanntes Beispiel für Heilige Krieger aus der christlichen Geschichte ist der mittelalterliche Orden der Tempelritter (Ende 11. bis Anfang 14. Jh.). Ihr Aufstieg zur Macht begann mit den Kreuzzügen. Sie waren überzeugt - ähnlich wie die heutigen islamistischen Kämpfer und Selbsmordattentäter -, dass das Töten von Ungläubigen im Sinne der christlichen Lehre sei, und sie selbst im Falle ihres Todes beim Kampf in der Himmel kommen würden.
Tränen der Erkenntnis Demgegenüber ist die Haltung des Buddha (wörtlich "Erwachten") zur Frage von Krieg und Frieden eindeutig pazifistisch. Buddhistische Texte bieten keine Rechtfertigungsgrundlage für Gewalt. Vielmehr gilt hier "nicht zu töten" ausdrücklich als die höchste Tugend. Ein bemerkenswerter Gegensatz zum ersten der zehn christlichen Gebote, das die Verehrung eines vermeintlich einzig wahren Gottes zum Thema hat. Der historische Buddha hat die Idee, dass Morden ein spiritueller Akt sei, ohne Einschränkungen abgelehnt. Gemäß seiner Lehre ist das Töten eine Handlung mit sehr abträglichen Folgen für den Täter. Es gibt in den ältesten vollständig überlieferten Redensammlungen des Buddha (6.-5. Jh. v. Chr.), die der Hauptteil des Pali-Kanons des südostasiatischen "frühen Buddhismus" Theravâda sind, zum Beispiel erhellende Dialoge des Erwachten mit Kriegern (Systematische Sammlung 42 / 3-5). Sie suchten den Buddha auf, weil sie (ähnlich wie die heutigen islamistische Kämpfer und Selbstmordattentäter) davon ausgingen, dass sie ein paradiesischer Zustand im Himmel erwarte, wenn sie in Ausübung ihrer Pflicht während eines Kampfes ums Leben kämen. Dies glaubten sie aufgrund der brahmanisch-hinduistischen Lehre, die den einzelnen Kasten unterschiedliche Pflichten vorschreibt und alleine deren Erfüllung als gutes Karma mit den entsprechenden positiven Folgen darstellt. Was die Krieger vom Buddha zu hören bekamen, war aber das
Gegenteil: Ein Soldat habe während eines Gewalt- oder Kriegsaktes zwangsläufig einen "niederen
und verderbten Geist", weil er zu dieser Zeit von Hass und Tötungsintentionen
bestimmt sei. Aus einem solchen Geisteszustand jedoch könne für ihn nach seinem Leben bloß Leiden entstehen. Mehr noch: Bereits der Gedanke,
für Gewalttaten in den Himmel zu kommen, stünde so deutlich im Widerspruch
zu den Tatsachen, dass schon alleine diese verfehlte Ansicht zu Leiden führen müsse. Als die Soldaten die Weisheit und Logik
dieser Worte erfassten, begannen sie zu weinen.
Bemerkenswerte Unterschiede Im Hinblick auf die historische und aktuelle
Gewalt ist der Buddhismus durch eine wesentlich friedfertigere
Gesinnung als die monotheistischen Weltreligionen charakterisiert. Das wird an sieben großen Bereichen klar. Um also zu einer wirklich objektiven Antwort auf die Frage zu kommen, wie friedfertig eine Religion sei, muss ein Vergleich in den folgenden sieben Hinsichten erfolgen: 2. Befriedung der Bevölkerung: 3. Innerreligiöse Auseinandersetzungen: 4. Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit: 5. Legitimation politischer Konflikte: Die Hugenottenkriege zwischen den französischen Katholiken
und Protestanten etwa waren verheerend. Der Dreißigjährige Krieg zwischen den
europäischen Katholiken und Protestanten kostete sage und schreibe der Hälfte der deutschen
Bevölkerung das Leben und verwüstete das Land. Auch die christlichen Kreuzzüge, die regelmäßigen großen
Judenprogrome, die früheren "Heiligen Kriege" des Islam, oder die Ära
der Inquisition (12.-19. Jh.) und Hexenverbrennung (14.-18. Jh.) sind
im Religionsvergleich ohne Parallelen. Der frühere Hamburger Indologieprofessor
Lambert Schmithausen betont dazu: Natürlich hat es auch in der 2500-jährigen Geschichte
des Buddhismus Gewalt gegeben. Die bekanntesten Beispiele sind die Beteiligung
von Zen-Meistern am japanischen Militarismus in der ersten Hälfte
des zwanzigsten Jahrhunderts, der Zen als die "Religion der Samurai"
in Japan seit dem zwölften Jahrhundert, die Mönchssoldaten rivalisierender
buddhistischer Gruppen im mittelalterlichen Tibet und Japan oder im kleinen
Inselstaat Sri Lanka der Territorialkonflikt zwischen Singhalesen und
Tamilen, die einen unabhängigen Staat erstreben. Hier ergreifen Teile
des buddhistischen Klerus entgegen den klaren Ordensregeln politisch Partei
für die singhalesische Seite. Eine umfassende, wirklich objektive Bestandsaufnahme zum Thema Krieg und Frieden ausgehend von Einzelforschungen zu den unterschiedlichen Religionen in der Vergangenheit und Gegenwart ergibt also deutlich ein großes Ungleichgewicht. Dessen Größe lässt sich nicht mit dem Argument erklären, Menschen würden überall auf der Welt gut gemeinte Lehren missbrauchen. Das weit auseinander klaffende Maß an jeweiliger Gewalt wurzelt primär in den Strukturen der Religionen selbst. Zu den gewaltfördernden Strukturmerkmalen gehört an erster Stelle der fest verankerte Alleingeltungsanspruch und Missionsauftrag im Christentum und Islam. Es kommen Textpassagen aus deren Urschriften hinzu, welche, wenn sie beim Wort genommen werden, eindeutig zu gewalttätigen Handlungen aufrufen. Der Freiburger Psychologie-Professor Franz Buggle hat eine gründliche Analyse der Bibel geschrieben. Sein fast 500 Seiten starkes Buch hat den Titel: Denn sie wissen nicht, was sie glauben: Oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein kann, eine Streitschrift (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1997). Zum Thema Gewalt ist hier ebenfalls die auf den Menschen beschränkte Ethik der drei monotheistischen Weltreligionen anzuführen, welche die Tiere "vergessen hat" (Arthur Schopenhauer). Der letzte Papst, Johannes Paul II, etwa hat Tierversuche für vereinbar mit dem Willen Gottes gehalten. Auf einer Rede vor Biologen 1985 sagte er: "Es ist gewiss, dass Tiere zum Nutzen der Menschen geschaffen wurden; das heißt, dass sie auch für Experimente benutzt werden können." Diese Grundhaltung ergibt sich aus der christlichen dualistischen, alleine auf den menschliche Nutzen ausgerichteten Haltung des "Mehret Euch, machet Euch die Erde untertan und herrschet über alles Getier, das auf Erden kriecht!" (1. Moses 1, 28). Die erfahrungsfremden und unverifizierbaren Glaubenslehren vom "Ewigen Leben", der "Auferstehung
von den Toten", der "Erlösung" der Menschheit durch einen Kreuzestod oder vom "Jüngsten Gericht" erscheinen in diesem Sinne ebenfalls
kontraproduktiv, weil sie den alltäglichen Erfahrungen des Menschen widersprechen und
damit seinen Sinn für die konkrete Welterfahrung trüben. Dieser konkrete Sinn gilt im Buddhismus als die Grundvoraussetzung für den Befreiungsweg und wird hier systematisch geschult. Sehr nachdenklich stimmt in diesem ganzen Zusammenhang
auch die praktisch unreflektierte, aber höchst bedeutsame Tatsache, dass
in den monotheistischen Urschriften Lehren wie Achtsamkeit, Kontemplation oder Meditation nicht
vorkommen. Sie gelten im Buddhismus als unabdingbar für die Befreiung von Herz wie Geist und haben hier eine zentrale Stellung. |
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