Krieg und Frieden

Gewalt in den Weltreligionen

Hans Gruber

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Wie friedfertig ist der Buddhismus tatsächlich? Diese Frage lässt sich objektiv bloß durch einen Vergleich der Weltreligionen zur Frage der Gewalt beantworten. Die Betrachtung von Gewalt alleine in einer bestimmten Weltreligion ergibt zwanglsäufig ein verzerrtes Bild.

 

Vorwort zu den "Buddhistischen Monatsblättern", Ausgabe 4/ 2004, und der Beitrag für die Buddhismus-Sparte des Sonderheftes von "connection" zum Thema "Die Liebe und ihre Widersacher".

(Geschrieben 2005. Für diese Website 2008 überarbeitet und aktualisiert.)

 

Erst wenige Jahre alt, hat uns das neue Jahrtausend bereits mit einer enormen Palette von Gewalt konfrontiert: Die Gemetzel und Flüchtlingskatastrophen im Sudan, die nicht enden wollenden Kämpfe im Irak (nicht bloß zwischen Irakern und Amerikanern, vor allem heute auch zwischen Sunniten und Schiiten, also zwischen Muslimen), in Afghanistan, die terroristischen Anschläge unter anderem in New York, Madrid und Bali sowie der ewige Konflikt zwischen israelis und den Palästinensern.

All diese und einige weitere Konflikte hängen in beträchtlichem Maße mit den an einen "einzigen, wahren Gott" glaubenden Religionen bzw. deren besonderen Heilsansprüchen zusammen. Das Konzept eines für bestimmte Gruppen Partei ergreifenden Gottes ist heute wie früher Hauptbestandteil der Sprache der Konfliktparteien in genau den Ländern, wo die monotheistischen Religionen die Mentalität prägen.

Auch hinter von den Medien kaum beachteten Massakern, wie der von islamistischen Milizen betriebenen "ethnischen Säuberung" der buddhistischen Minderheit in Bangladesh, oder den blutigen Schlachten zwischen christlichen Fundamentalisten und Islamisten in Nigeria (seit 1999 gab es über 10 000 Toten) sind fundamentalistische Strömungen der monotheistischen Religionen Islam und Christentum treibende Kräfte.

Ein Beispiel zum ältesten Monotheismus, dem Judentum, ist die "Operation Regenbogen" der israelischen Armee gegen die Palästinenser (vom Mai 2004). Die Bilanz für die Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen war: 48 Tote, Hunderte Verletzte und Flüchtlinge, 180 zerstörte Wohnungen und Häuser. Die offizielle Ansicht des israelischen Außenministers dazu lautete: "Wir haben es in Gaza mit Tieren zu tun und werden die entsprechenden Mittel gebrauchen." Amnesty International hat festgestellt, dass die Aktionen des israelischen Militärs in den vergangenen dreieinhalb Jahren das Heim von Zehntausenden zerstört hat. Rund 3000 Häuser von Palästinensern und arabischen Israelis wurden, häufig mitten in der Nacht und ohne jede Vorwarnung, vom israelischen Militär eingerissen.

 

Die Rache Gottes?

Was hier an dem letzteren Beispiel vor allem interessiert, ist der Name der Operation "Regenbogen"? Dieser Name bezieht sich nämlich auf einen Text im Alten Testament (1. Moses 9: Gottes Bund mit Noah nach der "Sintflut"), in dem Gott den Regenbogen als Zeichen des Bundes zwischen sich selbst und Noah beschreibt; und verknüpft mit dem Versprechen, dass "hinfort keine Sintflut mehr kommen soll". Es ist ein höchst rachsüchtiger Gott, der in gleichen Passage dann noch sagt: "Auch will ich euer eigen Blut, das ist das Leben eines jeden unter euch, rächen." Das Konstrukt eines schützenden Gottes, der bereit ist, für sein "auserwähltes Volk" in brutalster Weise Vergeltung zu üben, diente dem isralesischen Militär also als Legitimation für großangelegte Racheaktionen an palästinensischen Zivilisten.

Auf der anderen Seite stehen islamistische Selbstmordattentäter, die im Nahostkonflikt immer wieder israelische Zivilisten mit in den Tod reißen - im Glauben, dann als Märtyrer ins Paradies zu kommen. Auch der Koran kann gut zitiert werden, um das eigene Handeln, und sei es noch so aggressiv, zu rechtfertigen: "Diejenigen, die gläubig sind, kämpfen um Gottes willen, diejenigen, die ungläubig sind, um der Götzen willen." Sehr deutlich wird Sure 9/5: "Tötet die Heiden, wo Ihr sie trefft, ergreift sie, belagert sie und lauert ihnen auf."

Aber h eilige Krieger kennt ebenfalls die Bibel. Durch den Propheten Jesaia verkündet der monotheistische Gott hier zum Beispiel (13 / 3 u. 16): "Ich habe diese alle zusammengerufen, damit sie meinen Zorn vollstrecken. Vor ihren Augen sollen ihre Kinder zerschmettert, ihre Häuser geplündert und ihre Frauen geschändet werden."

Ein bekanntes Beispiel für Heilige Krieger aus der christlichen Geschichte ist der mittelalterliche Orden der Tempelritter (Ende 11. bis Anfang 14. Jh.). Ihr Aufstieg zur Macht begann mit den Kreuzzügen. Sie waren überzeugt - ähnlich wie die heutigen islamistischen Kämpfer und Selbsmordattentäter -, dass das Töten von Ungläubigen im Sinne der christlichen Lehre sei, und sie selbst im Falle ihres Todes beim Kampf in der Himmel kommen würden.

 

Tränen der Erkenntnis

Demgegenüber ist die Haltung des Buddha (wörtlich "Erwachten") zur Frage von Krieg und Frieden eindeutig pazifistisch. Buddhistische Texte bieten keine Rechtfertigungsgrundlage für Gewalt. Vielmehr gilt hier "nicht zu töten" ausdrücklich als die höchste Tugend. Ein bemerkenswerter Gegensatz zum ersten der zehn christlichen Gebote, das die Verehrung eines vermeintlich einzig wahren Gottes zum Thema hat. Der historische Buddha hat die Idee, dass Morden ein spiritueller Akt sei, ohne Einschränkungen abgelehnt. Gemäß seiner Lehre ist das Töten eine Handlung mit sehr abträglichen Folgen für den Täter.

Es gibt in den ältesten vollständig überlieferten Redensammlungen des Buddha (6.-5. Jh. v. Chr.), die der Hauptteil des Pali-Kanons des südostasiatischen "frühen Buddhismus" Theravâda sind, zum Beispiel erhellende Dialoge des Erwachten mit Kriegern (Systematische Sammlung 42 / 3-5). Sie suchten den Buddha auf, weil sie (ähnlich wie die heutigen islamistische Kämpfer und Selbstmordattentäter) davon ausgingen, dass sie ein paradiesischer Zustand im Himmel erwarte, wenn sie in Ausübung ihrer Pflicht während eines Kampfes ums Leben kämen. Dies glaubten sie aufgrund der brahmanisch-hinduistischen Lehre, die den einzelnen Kasten unterschiedliche Pflichten vorschreibt und alleine deren Erfüllung als gutes Karma mit den entsprechenden positiven Folgen darstellt.

Was die Krieger vom Buddha zu hören bekamen, war aber das Gegenteil: Ein Soldat habe während eines Gewalt- oder Kriegsaktes zwangsläufig einen "niederen und verderbten Geist", weil er zu dieser Zeit von Hass und Tötungsintentionen bestimmt sei. Aus einem solchen Geisteszustand jedoch könne für ihn nach seinem Leben bloß Leiden entstehen. Mehr noch: Bereits der Gedanke, für Gewalttaten in den Himmel zu kommen, stünde so deutlich im Widerspruch zu den Tatsachen, dass schon alleine diese verfehlte Ansicht zu Leiden führen müsse. Als die Soldaten die Weisheit und Logik dieser Worte erfassten, begannen sie zu weinen.


Lohan Angida (China),

fängt die Giftschlangen

und bringt sie weg

von den Menschen

in die Berge

 

Bemerkenswerte Unterschiede

Im Hinblick auf die historische und aktuelle Gewalt ist der Buddhismus durch eine wesentlich friedfertigere Gesinnung als die monotheistischen Weltreligionen charakterisiert. Das wird an sieben großen Bereichen klar. Um also zu einer wirklich objektiven Antwort auf die Frage zu kommen, wie friedfertig eine Religion sei, muss ein Vergleich in den folgenden sieben Hinsichten erfolgen:


1. Verbreitungsgeschichte:

Während Christentum und Islam sich auf dem Wege von Kolonisation und Zwangsmissionierung weltweit verbreitet haben, "eroberte" der Buddhismus neue Länder gewaltlos - durch das Interesse der Völker bzw. zunächst der Herrscher. (Dahinter standen teilweise auch politische Erwägungen und die Durchsetzung des Buddhismus in den einzelnen Ländern erfolgte nicht immer gewaltlos, aber die Einführung des Buddhismus war ein freiwlliger Akt, im Unterschied zur Verbreitungsgeschichte von Christentum und Islam.)

Wenn man heute eine Verbreitungskarte der Weltreligionen machen würde, auf der all diejenigen Länder einer Religion "abgezogen" bzw. gestrichen werden, die ihr durch Gewalt oder im Gefolge kolonialer Eroberung einverleibt worden sind, würden die Monotheismen als die kleinsten Weltreligionen (das Chistentum als die allerkleinste) und der Buddhismus mit Abstand als die größte erscheinen. Es wäre völlig legitim, diese Karte zu machen. Denn es ist zweifellos eine Hauptaufgabe jeder Religion, Menschen friedlicher zu machen. So müssen sich die Religionen an dieser Hauptaufgabe messen lassen. Eine solche Karte wäre das Ergebnis einer solchen Messung.

2. Befriedung der Bevölkerung:

Vom Buddhismus stark geprägte Gesellschaften neigen deutlich weniger zu gewalttätigen Konfliktlösungsstrategien. Zum Beispiel waren sowohl die Mongolei als auch Tibet vor Annahme des Buddhismus höchst expansive Mächte (die Mongolei das größte Weltreich). Es gibt Ausnahmen, vor allem Japan. Aber dort ist der Buddhismus nicht prägender als der extrem obrigkeitsorientierte Shintoismus gewesen. In Japan ist der Buddhismus außerdem von Anfang an in besonderem Maße staatlichen Interessen untergeordnet worden. So ist dort etwa die buddhistische Ordensdisziplin des Vinaya, die dem buddhistischen Orden Eigenständigkeit sichert, offiziell aufgegeben worden.

3. Innerreligiöse Auseinandersetzungen:

Diese werden im Buddhismus kaum mit kriegerischen Mitteln ausgetragen. Die relativ wenigen historischen Fälle, die es gab (im mittelalterlichen Tibet und Japan), sind in ihrer Dimension keineswegs mit den verheerenden früheren Religionskriegen des Abendlandes zu vergleichen. Auch heute gibt es Beispiele für verheerende innerreligiöse Auseinandersetzungen im Rahmen der Monotheismen: Der höchst blutige Konflikt ziwschen Sunniten und Schiiten im Irak oder der frühere langjährige blutige Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken in Nordirland.

4. Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit:

Das Bild des Buddhismus in der Öffentlichkeit wird heute stark von Persönlichkeiten wie dem vietnamesischen Zen-Meister Thich Nhat Hanh, dem Dalai Lama oder der burmesischen Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi verkörpert. Die beiden Letztgenannten sind Träger des Friedensnobelpreises. Der infolge seines konsequenten Friedens-Engagements im französischen Exil lebende Thich Nhat Hanh hat diese Auszeichnung (noch) nicht erhalten, ist aber bereits von Martin Luther King dafür vorgeschlagen worden.

5. Legitimation politischer Konflikte:

Weder geschichtlich noch aktuell ist der Buddhismus dazu geeignet, politische oder kriegerische Konflikte (über andere als religiöse Fragen) durch religiöse Sichtweisen ideologisch zu befeuern. Ein "Kreuzzug gegen das Böse" lässt sich mit dem historischen Buddha auf der Fahne ebenso wenig führen wie ein "Heiliger Krieg gegen die Ungläubigen".

6. Leidverursachende Praktiken:

Die höchst menschenverachtende Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung (laut Unicef sind rund 130 Millionen Frauen weltweit betroffen, jährlich werden etwa drei Millionen Mädchen genitalverstümmelt) hat verschiedene Ursprünge. Aber sie ist vor allem in den islamischen Ländern verbreitet. Sie wird hier zum Teil durch Aussprüche des Propheten Mohammed legitimiert, nämlich die Hadithe, die neben dem Koran die andere Quelle islamischen Rechts bilden. Im buddhistischen Kulturkreis kommt diese Praxis nicht vor. Die weibliche Genitalverstümmelung ist nicht mit der männlichen Beschneidung zu vergleichen, die dem Mann keine Nachteile bringt.

In den monotheistischen Ländern gibt es verbreitete Rituale und Feste, bei denen aus religiösen Gründen Tiere geopfert werden. Die buddhistische Ethik bezieht sich auch auf die Tiere. Der Buddha hat Tieropfer als Aberglauben abgelehnt.

7. Doppelzüngigkeit:

Diese gibt es selbstverständlich in allen Religionen. Aber zu Skandalen zum Beispiel vom Ausmaß des Missbrauchs von Kindern durch katholische Geistliche in den USA gibt es in buddhistischen Ländern keine Parallele. Einer 2004 veröffentlichten Studie zufolge haben in den USA mindestens 4400 Priester knapp 11 000 Kinder sexuell missbraucht. In den meisten Fällen waren es Jungen. Vier Prozent aller katholischen Priester in den USA vergingen sich demnach an Kindern.


Ein Vergleich der Gewalt


Hätte es in den letzten 2000 Jahren Massenmedien gegeben, wäre der Eindruck des Unterschieds, was die Gewalt durch Buddhisten und die Gewalt durch Gläubige der monotheistischen Religionen angeht, wohl noch deutlicher als in der Gegenwart ausgefallen.

Die Hugenottenkriege zwischen den französischen Katholiken und Protestanten etwa waren verheerend. Der Dreißigjährige Krieg zwischen den europäischen Katholiken und Protestanten kostete sage und schreibe der Hälfte der deutschen Bevölkerung das Leben und verwüstete das Land. Auch die christlichen Kreuzzüge, die regelmäßigen großen Judenprogrome, die früheren "Heiligen Kriege" des Islam, oder die Ära der Inquisition (12.-19. Jh.) und Hexenverbrennung (14.-18. Jh.) sind im Religionsvergleich ohne Parallelen. Der frühere Hamburger Indologieprofessor Lambert Schmithausen betont dazu:

"Die Verkündigung des Buddha ist immer nur ein Angebot. So kam es in der buddhistischen Geschichte kaum je zu einer gewaltsamen Missionierung. Auch die gewaltsamen innerbuddhistischen Auseinandersetzungen sind in ihrer Dimension keineswegs unseren Religionskriegen vergleichbar."

Natürlich hat es auch in der 2500-jährigen Geschichte des Buddhismus Gewalt gegeben. Die bekanntesten Beispiele sind die Beteiligung von Zen-Meistern am japanischen Militarismus in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, der Zen als die "Religion der Samurai" in Japan seit dem zwölften Jahrhundert, die Mönchssoldaten rivalisierender buddhistischer Gruppen im mittelalterlichen Tibet und Japan oder im kleinen Inselstaat Sri Lanka der Territorialkonflikt zwischen Singhalesen und Tamilen, die einen unabhängigen Staat erstreben. Hier ergreifen Teile des buddhistischen Klerus entgegen den klaren Ordensregeln politisch Partei für die singhalesische Seite.

Aber es lassen sich im Vergleich zu diesen wenigen klaren Fällen unzählige und höchst drastische Beispiele aus der Geschichte der drei Monotheismen nennen. Karlheinz Deschner konnte zehn umfangreiche Bände alleine zur Kriminalgeschichte des Christentums schreiben (also schon alleine zu einem der drei Monotheismen, dem Christentum).

Wenn man die Gewalt in der Geschichte des Buddhismus insgesamt mit der Gewalt in der Geschichte der Monotheismen insgesamt vergleicht, ist es ungefähr so, als würde man Holland (Gewalt im Buddhismus) mit Russland (Gewalt in den monotheistischen Religionen) vergleichen. Es ist natürlich möglich, sich auf die Erforschung Hollands zu konzentrieren und sehr viel darüber zu sprechen, um Holland groß erscheinen zu lassen. Dann werden diejenigen, die Russland nicht kennen, diesen Eindruck bekommen.

Aber objektiv ist es nicht. Hinter einem solchen apologetischen Vorgehen steht die Absicht, den Scluss zu vermeiden, der sich zwangsläufig aus dem gewaltigen Dimensionsunterschied zwischen der Gewalt im Buddhismus und der Gewalt in den Monotheismen ergibt. Dieser Schluss ist, dass sich ein derart großer Dimensionsunterschied lediglich durch die jeweiligen religiösen Lehren bzw. Systeme selbst erklären lässt. Das wirft ein negatives Licht auf die Lehren von Christentum und Islam. Das liegt nicht im Sinne der Kirchen. Die Kirchen haben großen Einfluss auch auf den Staat. Deshalb gibt es heute so viele Apologeten.

Die relative Gewaltlosigkeit des Buddhismus gilt nicht primär bloß für dessen ordinierte Vertreter:

Warum begehen zum Beispiel heute tibetische Buddhisten keine Selbstmordattentate, obwohl Tibet unter China viel Schlimmeres erlitten hat und zum Teil noch erleidet als die arabische Welt unter dem Westen? Auch die gewöhnlichen Buddhisten, wenn sie unterdrückt werden, verhalten sich im Allgemeinen eindeutig anders als Gläubige der Monotheismen, wenn sie unterdrückt werden. Aktuelle Beispiele sind die Bevölkerungen Burmas und Tibets, In beiden Ländern findet seit Langem schlimmste Unterdrückung statt.


Wurzeln der Gewalt

Eine umfassende, wirklich objektive Bestandsaufnahme zum Thema Krieg und Frieden ausgehend von Einzelforschungen zu den unterschiedlichen Religionen in der Vergangenheit und Gegenwart ergibt also deutlich ein großes Ungleichgewicht. Dessen Größe lässt sich nicht mit dem Argument erklären, Menschen würden überall auf der Welt gut gemeinte Lehren missbrauchen. Das weit auseinander klaffende Maß an jeweiliger Gewalt wurzelt primär in den Strukturen der Religionen selbst.

Zu den gewaltfördernden Strukturmerkmalen gehört an erster Stelle der fest verankerte Alleingeltungsanspruch und Missionsauftrag im Christentum und Islam. Es kommen Textpassagen aus deren Urschriften hinzu, welche, wenn sie beim Wort genommen werden, eindeutig zu gewalttätigen Handlungen aufrufen. Der Freiburger Psychologie-Professor Franz Buggle hat eine gründliche Analyse der Bibel geschrieben. Sein fast 500 Seiten starkes Buch hat den Titel: Denn sie wissen nicht, was sie glauben: Oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein kann, eine Streitschrift (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1997).

Zum Thema Gewalt ist hier ebenfalls die auf den Menschen beschränkte Ethik der drei monotheistischen Weltreligionen anzuführen, welche die Tiere "vergessen hat" (Arthur Schopenhauer). Der letzte Papst, Johannes Paul II, etwa hat Tierversuche für vereinbar mit dem Willen Gottes gehalten. Auf einer Rede vor Biologen 1985 sagte er: "Es ist gewiss, dass Tiere zum Nutzen der Menschen geschaffen wurden; das heißt, dass sie auch für Experimente benutzt werden können."

Diese Grundhaltung ergibt sich aus der christlichen dualistischen, alleine auf den menschliche Nutzen ausgerichteten Haltung des "Mehret Euch, machet Euch die Erde untertan und herrschet über alles Getier, das auf Erden kriecht!" (1. Moses 1, 28).

Die erfahrungsfremden und unverifizierbaren Glaubenslehren vom "Ewigen Leben", der "Auferstehung von den Toten", der "Erlösung" der Menschheit durch einen Kreuzestod oder vom "Jüngsten Gericht" erscheinen in diesem Sinne ebenfalls kontraproduktiv, weil sie den alltäglichen Erfahrungen des Menschen widersprechen und damit seinen Sinn für die konkrete Welterfahrung trüben. Dieser konkrete Sinn gilt im Buddhismus als die Grundvoraussetzung für den Befreiungsweg und wird hier systematisch geschult.

Der historische Buddha hat Lehren wie "Ewiges Leben" oder "Auferstehung von den Toten" ausdrücklich abgelehnt (vgl. etwa Rede 22 der Mittleren Sammlung, wo er alle Vorstellungen von der Unsterblichkeit des Selbst nach dem Tode als "vollkommen närrische Lehre" resümiert hat). Solche Lehren gelten als Widerspruch in sich. Denn Leben und Körper sind im Buddhismus zwei Inbegriffe des bedingt Entstandenen und deshalb Vergänglichen. Sie können unter keinen Umständen "ewig" sein oder "wiederauferstehen".

Sehr nachdenklich stimmt in diesem ganzen Zusammenhang auch die praktisch unreflektierte, aber höchst bedeutsame Tatsache, dass in den monotheistischen Urschriften Lehren wie Achtsamkeit, Kontemplation oder Meditation nicht vorkommen. Sie gelten im Buddhismus als unabdingbar für die Befreiung von Herz wie Geist und haben hier eine zentrale Stellung.

Es fehlen im Monotheismus also konkrete, praktische Hilfsmittel zur "Überwindung von Traurigkeit und Wehklagen, Beseitigung von Schmerz und Kummer, Erlangung des wahren Weges und Verwirklichung der Befreiung", wie sie der historische Buddha mit seinen Praxislehren zur Achtsamkeit gegeben hat. Der Erwachte hat die Schulung einer sehenden Achtsamkeit, die zu befreiender Weisheit führt, als den "direkten und einzigen Weg" zur Befreiung gewiesen (Satipatthâna-Sutta, Mittlere Sammlung 10).

Auch der Blick auf die gegenwärtige Verbreitung der Weltreligionen zeigt das gewohnte Bild:

Auf der einen Seite dringen vor allem evangelikal-protestantische Gruppen nach Asien vor, primär finanziert von Mutterorganisationen in den USA. Dieser aggressiv anmutenden Mission steht die friedfertige Verbreitung buddhistischer Traditionen im Abendland seit den sechziger Jahren gegenüber, die primär von Abendländern selbst initiiert worden ist und heute getragen wird.




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