Kontrolle oder Freiheit des Seins?
Der Vipassanâ-Lehrer Christopher Titmuss


Ein Porträt seiner Person und Lehre

Hans Gruber



Christopher Titmuss (www.insightmeditation.org), der im deutschsprachigen Raum regelmäßig im "Haus der Stille" bei Hamburg (www.hausderstille.org), "Waldhaus am Laacher See" in der Eifel (www.buddhismus-im-westen.de) und "Meditationszentrum Beatenberg" in den schweizer Bergen (www.karuna.ch) Achtsamkeitsmeditation sowie "Deep Happiness"-Kurse lehrt, ist ein weltweit bekannter Vertreter der Achtsamkeits- oder Einsichtspraxis "Vipassanâ" (Pali für "Höheres Sehen"), und des "Engagierten Buddhismus".

Er war früher buddhistischer Mönch unter Ajahn Buddhadâsa in Thailand, der ihn neben Ajahn Dhammadaro zum Lehren aufgefordert hat. Er gehört zu den ersten, die Anfang der Siebziger buddhistische Achtsamkeitsmeditation in den Westen eingeführt haben. Er hat einige Bücher verfasst, etwa Light on Enlightenment und The Buddha´s Book of Daily Meditations (beide bei Rider Publications). Er ist Mitbegründer des renommierten buddhistischen Kurszentrums "Gaia House" in England. In Christophers Lehrverständnis sind Tiefe von Meditation, Herz und soziales Engagement keine Widersprüche, sondern ergänzen sich wechselseitig. Ein weiteres Merkmal seines Ansatzes sind offene Worte. Christopher ist kein Opportunist. Wo Kritik am Platze ist, spricht er sie aus.

Das folgende Porträt (erschienen in den Nachrichten aus Roseburg 2004) beruht auf den Lehren, die Christopher während eines Wochendkurses im "Haus der Stille" gegeben hat. Sie repräsentieren seinen Ansatz gut:

 

Die Drei Zufluchten des Westens

Wie sein Lehrer Ajahn Buddhadâsa, versteht Christopher das auf alles bezogene "Nicht-Selbst" (Anattâ) in der fließenden, ungreifbaren Natur der Phänomene - bzw. die Leerheit aller Dinge - als das intuitive Tor zur Freiheit des Nirvâna. Hier liegt er auf einer Linie mit dem historischen Buddha ("alle Dinge sind das Nicht-Selbst") und Nâgârjuna ("alles ist leer"), der mit dem Buddha für Christopher besonders prägend ist. Christopher sagtetwa: "Ich bin ein Lehrer der Leerheit", oder "Ich verstehe Nâgârjuna als den wichtigsten Kommentator des Buddha".

Mit dieser Sicht, dass Weisheit (Verstehen der Leerheit aller Dinge) und Freiheit das Gleiche sind, geht ein Hinterfragen unser gewöhnlichen Kontrollmechanismen einher. Christopher fragt etwa: "Treibe ich mich geistig auf den Rädern des Etwas-Besonderes-sein-Wollens voran, durch Karriere, Besitz, Status oder Anerkennung?" Alle großen Dharma-Lehrer betonen, dass es darauf ankomme, die Leerheit unserer Spiele zu durchschauen. Diese Leerheit sei es, die, wenn sie verstanden werde, dem vom Ego getriebenen Leben den Boden entziehe. Dies sei eine große Herausforderung, weil unsere Kultur solche "inneren" Anliegen nicht fördere.

Aus dieser Perspektive stellt sich die Frage, ob es Bereiche in unserem Leben gibt, wo wir zu viel "investieren". Christopher: "In unserer Kultur hat persönlicher Erfolg ein enormes Gewicht. Er gilt hier als eine Art Hauptgrund für unsere Existenz. Von morgens bis spät suchen wir gewöhnlich nach Anerkennung von innen und außen." In dieser Fixierung auf Erfolg liege auch der Grund, warum in unserer Kultur Berühmtheiten so sehr verehrt werden. Es bringe uns Leiden, ein Gefühl tiefen Unbefriedigtseins.

In dem Zusammenhang bekomme auch das Geld besonderes Gewicht. So werde unser emotionales Leben von Zahlen abhängig. Mit den Aktienkursen "hebt sich" gewöhnlich auch unser emotionales Leben. Christopher fragt: "Haben wir uns etwa ein emotionales und psychologisches Gefängnis gebaut?" Die Dharma-Lehren sind ein Fingerzeig, unserem Gespür für die Freiheit inmitten des Lebens zu folgen. Wir müssen sehr wachsam mit Geld umgehen, weil es bloß ein Detail im großen Ganzen ist. Auch hier gelte es, die Leerheit des Anhaftens daran zu verstehen.

Christopher resümiert es so: "Position, Geld und Besitz sind die drei Zufluchten des Westens. Wir denken, dass wir es in dem Maße geschafft hätten, wie wir in diesen drei Hinsichten erfolgreich wären." Aber in Wahrheit sei die innere Freiheit das Einzige, was im Leben wirklich zähle. Wenn wir dies sehen, müssen wir uns die Frage stellen, wie viel wir bereits in diese drei Zufluchten investiert haben. Mit dem Verstehen ihrer Leerheit können wir "jene tiefe Stelle der Güte in uns berühren". Der Weg dorthin sei, "mehr nach innen und mehr nach außen zu hören". Die liebende Güte verleihe uns "den Saft des Lebens, der uns als ein Volk, eine Familie und eine Gemeinschaft zusammenhält". Deshalb müssten wir immer wieder die Bedeutung der Liebe oder der tiefen Güte in uns berühren.

Position, Geld und Besitz sind natürlich in praktischer Hinsicht sehr wichtig, aber ihnen kommt keine ultimative Bedeutung zu. Aber gewöhnlich sind wir in unseren überbrachten kulturellen Werten so befangen, dass wir dies denken. Die Lehren des Dharma ("das, was trägt", der Name des historischen Buddha für den von ihm gewiesenen universellen Befreiungsweg) machen uns immer wieder die beiden Realitätsebenen der "Konventionellen Realität" und der "Höchsten Realität" bewusst. Diese Bewusstheit ist uns im Grunde auch nicht neu. Der Dharma erinnert uns lediglich an etwas Tiefgründiges, das wir leicht vergessen. Christopher: "Es ist die Realisierung der Leerheit von Selbstbezogenheit, die unserem Leben wahre Authentizität verleiht."

Christopher ist bekannt dafür, dass er den Dharma unmittelbar auf das alltägliche Leben anwendet. Er betrachtet Ereignisse auf eine innere Weise, um die Botschaft des Erwachten modern fruchtbar zu machen. Fälle von Gewalt zum Beispiel, worüber die Medien berichten, seien eine persönliche Herausforderung, tief in uns hineinzuschauen. Er fragt mit Blick auf solche Berichte: "Was waren unsere unmittelbaren Reaktionen? Was haben wir gefühlt, gedacht, oder anderen gesagt? In Reaktion auf Gewalt verspüren wir auch selbst schnell innere Gewalt oder Rachsucht. Damit verfangen wir uns bloß in der Fortführung des Leidens."


Arhat Kalika,
Liebhaber der
Reden des Buddha,
voller Herz für die
Menschen

 

Das Nicht-Selbst einmal praktisch

Wenn Christopher über das Nicht-Selbst oder die Leerheit spricht, dann tut er es nicht auf eine theoretisch-philosophische Weise, wie es häufig der Fall ist, sondern alltagsbezogen-intuitiv. Dies ist ihm durch seine innere Erfahrung möglich. In diesem Sinne hält er eine wirklich "freie" Rede.

So betont er etwa, dass wir sehen sollten, wie das "Selbst" erst in der Identifikation (etwa mit der eigenen Arbeit oder Beziehung) hervortrete, und dann regelmäßig wieder in sich zusammenfalle; und mit ihm eine "ganze Welt". An dieser Identifikation werde deutlich, wie das "Selbst" ausschließlich in Beziehung zu etwas anderem erst hervortrete. Es ist also nicht selbst-existent, wie es uns gewöhnlich erscheint. Das "Selbst" identifiziert sich zum Beispiel mit "seiner" Gruppe, Religion oder Nation. Es "entsteht" durch diese Identifikation überhaupt erst. Das "Ich" fühlt sich normal als um so größeres "Ich", wie es sich mit den anderen "Ichs" einer bestimmten Gruppe innerlich "assoziiert".

Christopher fragt hier: "Mit oder ohne Arbeit sein, mit oder ohne Beziehung sein, hier oder dort wohnen, na und? Lasse diese Identifikationen des ,Selbst' einfach wegfallen. Was ist dann dein Gefühl tief im Inneren?" Mit diesen Identifikationen wird alles leicht "dramatisch", bekommt alles schnell große "Bedeutung", die es in Wahrheit gar nicht besitzt. All dies ist die Perspektive des "Selbst", welches einfach die Höchste Realität aus dem Auge verloren hat. Ein weiteres Beispiel dafür ist das Gewicht, mit dem uns manchmal ein Problem in unserer Meditation oder ein Gefühl in unserem Körper erscheint. Vom Standpunkt der Höchsten Wirklichkeit sind unsere leidvollen Dramen ohne Bedeutung. Es gilt, diese wahre Natur der Dinge befreiend zu berühren.

Wahre Liebe geht viel tiefer als das "Selbst", sie ist im "Nicht-Selbst" verwurzelt, in unserem Nicht-Getrenntsein. Dagegen sieht das "Selbst" seinem Wesen nach immer bloß die Aufspaltungen. Mit diesen entstehe zwangsläufig Aggression. Das eine "Selbst" kämpft dann gegen das andere "Selbst", um in seinen Aufspaltungen verharren zu können, die es seinem Wesen nach braucht - eben um sich selbst existent fühlen zu können.

Er sagt: "Gib der Reaktion keine Macht, und es offenbart sich die Liebe." Wir sollten die Konstruktion des "Selbst" in sich zusammenfallen lassen - ihre notorischen Identifikationen einfach sein lassen. Dann entstehe zunächst eine große Unsicherheit. Aber es sei kein Problem. Denn, so Christopher: "Das Leben ist kein sicheres Ereignis." Mit dieser tiefen Erkenntnis sollten wir dann ebenfalls verstehen, wie viel Aufmerksamkeit wir gewöhnlich dem Thema der Absicherung unseres "Ich" widmen. Mit einer bereitwillig zugelassenen Unsicherheit kann allmählich etwas wirklich Neues hervorscheinen. Dieses wirklich Neue beschreibt Christopher so:

"Das ,Selbst' hat aufgehört, das Zentrum unserer Existenz zu sein. Denn das ,Nicht-Selbst' hat uns die Tore der Wahrnehmung geöffnet."


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