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Glaube und Gewalt oder Die Ereignisse vom 11. September 2001
in New York und danach, Geschrieben nach den Anschlägen
vom 11. September 2001. George W. Bush und die große Mehrheit seiner Landsleut glauben sich im "Kreuzzug gegen das Böse". Osama Bin Laden und die radikalen Islamisten glauben sich im "Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen". Unterscheiden sich denn diese beiden Antriebsüberzeugungen hinter der aktuellen Gewaltzunahme wirklich? Sie speisen sich aus der gleichen religiös verankerten Denkquelle. Die Weltkonflikte verschärfen sich heute nicht zuletzt (und auch nicht historisch neu) durch dieses Denken des "entweder Gott oder Satan, entweder gut oder böse bzw. meine Seele für Gott" im kulturellen Kontext der drei monotheistischen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam. Es durchzieht die "heiligen Texten" dieser Religionen. Auch gottgesegnete Gewalt ist hier üblich. Im Koran heißt es etwa (Sure 9, 5): "Tötet die Heiden, wo Ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie, lauert ihnen auf." Aber "Heilige Krieger" kennt genauso die Bibel. Dort sagt Gott zum Beispiel (Prophet Jesaja 13; 3 u. 16): "Ich habe diese alle zusammengerufen, damit sie meinen Zorn vollstrecken. Vor ihren Augen sollen ihre Kinder zerschmettert, ihre Häuser geplündert und ihre Frauen geschändet werden." Der Freiburger Psychologieprofessor Franz Buggle hat ein 450-seitiges Taschenbuch zur Bibel geschrieben: Denn sie wissen nicht, was sie glauben: Eine Streitschrift. Er resümiert es so: "Ich demonstriere durch Zitate, dass die Bibel, unsere 'Heilige Schrift', 'Gottes Wort', ein zutiefst gewalttätig-inhumanes Buch ist, völlig ungeeignet als Basis einer heute verantwortbaren Ethik." In allen Kulturen früher oder heute ist das religiöse Orientierungsbedürfnis des Menschen zentral, angesichts der steten Vergänglichkeit und des eigentlichen Rätsels des Lebens. Doch etwas kann nicht stimmen, wenn Glaube zu Gewalt beiträgt. Es ist hier auch nicht neu, sondern steht in einer weit zurückreichenden, mit Gewalt randvollen (Verbreitungs-)Geschichte. Der Spiegel widmete dem Thema jüngst eine Titelgeschichte: Der religiöse Wahn. Es sollte erschrecken, wie durchgängig das Denken des "wir hier sind gut, und die dort sind böse" sowohl die Urtexte der monotheistischen Weltreligionen als auch die Entscheidungsträger und direkt Beteiligten in den heutigen Hauptbrandherden der Welt (zwischen Islamisten und Amerikanern, Juden und Muslimen in Nahost, oder Muslimen und Hindus in Indien) prägt. Doch wie der britische Historiker Bernard Lewis betont hat, ist es bloß eine Überzeugung, die jeden Fundamentalismus ausmacht: "Ich bin gut, Du bist böse, deshalb fahr zur Hölle!" Damit sind jene Urtexte fundamentalistische Texte. Der Taliban-Botschafter in Pakistan, Abdul Salam Saif, sagte: "Wir werden nicht vor dem Bösen kapitulieren." Ähnlich meinte George W. Bush: "Amerikas historische Verantwortung ist klar: Die Welt vom Bösen zu befreien", als habe Gott die USA höchst-Selbst-persönlich zum biblischen Endkampf beauftragt. Mit einer Freund-Feind-Aufspaltung der gesamten Welt stehen die Aufgaben vereinfacht klar vor Augen. Damit haben sie nichts mehr mit einem selbst zu tun, und das ist sehr bequem. Dazu passt auch nahtlos diese Forderung Bushs in seiner Kongressrede: "Jedes Land in jeder Region muss sich jetzt entscheiden, entweder es steht auf unserer Seite oder auf der Seite der Terroristen." Das ist die Eins-zu-eins-Übertragung des Zitates von Jesus Christus "Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich" in die Politik. Beide Aussagen postulieren im Grunde: "Ich bin absolut gut, weshalb alle mit mir sein müssen." Der Inder Osho (Bhagwan Shree Rajneesh), der vom Dalai Lama als ein "erwachter Meister" bezeichnet worden ist, kommentierte einmal das Zitat von Jesus Christus so: "Dies sind die Worte eines Politikers, nicht die Worte eines religiösen Mannes, nicht die Worte eines meditativen Mannes, der Dinge sehen kann." Der logische Ausdruck des "entweder mit mir oder gegen mich" bzw. "Ich bin absolut gut, weshalb alle mit mir sein müssen" ist der missionarische Grundzug des monotheistischen Glaubens und die begleitende Gewalt (etwa als Zwangsmissionierung von Kontinenten im Gefolge der Kolonisation). So sagt Jesus Christus auch (Matthäus 28, 19-20): "Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes; und lehrte sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." Hier ist eine formale Taufe und sogar äußere Bekehrung gemeint. Der absolute Wille, das dieser Auftrag durchgeführt werden soll, wird an dem Versprechen klar: "Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende". Das ganze Denken von Bush ist nur die politische Kehrseite des in der Bibel wie dem Koran tief verankerten Grund-Dualismus "entweder gut oder böse, entweder Gott oder Satan bzw. meine Seele für Gott". Dieser religiöse Grund-Dualismus prägt heute unbewusst die Mentalität von führenden Politikern. So sagte der britische Premier Tony Blair, der sich als einen modernen Christen sieht, in seiner gefeierten Parteitagsrede: "Es gibt nur zwei Möglichkeiten, mit dem Bösen umzugehen: Es zu besiegen oder selbst besiegt zu werden!" Auch der russische Präsident und Anhänger der russisch-orthodoxen Kirche, Wladimir Putin, verkündete am 25. September auf seinem ersten Staatsbesuch in Deutschland im Bundestag: "Das Böse muss bestraft werden!" Mit die meistgesprochenen Worte in der Rhetorik der Konfliktparteien sind "Allah!" immer wieder "Allah!" oder "Gott!" immer wieder "Gott!" "Allah ist die einzige Supermacht!" schreien neidvoll die Islamisten. "Amerika: Gottes eigenes Land!" und "Gott ist auf unserer Seite!" predigen stolz die Amerikaner. "Wir sind das auserwählte Volk!" sinnieren die Juden. Selbst einem Allmächtigen wäre der Spagat, um all diesen widerstreitenden Interessen gerecht zu werden, nicht möglich. Auf die Frage nach biologischen und atomaren Waffen antwortete Osama Bin Laden vor drei Jahren in einem Interview sogar: "Wir Muslime haben das Recht, solche Waffen zu besitzen, und Gott hat sie uns geschenkt!" Nicht nur Osama Bin Laden, auch die Amerikaner selbst betrachteten die Taliban schon als das personifizierte Gute. Als der amerikanische Geheimdienst CIA diese "Gotteskrieger" noch gegen die Sowjets in Afghanistan unterstützte, sprach er zu den Taliban: "Eure Seite ist eine gerechte, und Gott ist auf Eurer Seite!" Was heute so unverrückbar "böse" scheint, ist in Wahrheit voll mit den eigenen Interessen im Fluss; ob bei den Amerikanern oder den Taliban. Wo in "entweder gut oder böse" aufgespalten wird (sei es in den Urtexten der monotheistischen Religionen oder im Denken der modernen Politiker) provoziert ein die wahren Bedingungsketten unbewusst übergehendes Denken die Konflikte mehr, als dass es sie lösen hilft. Denn diese Denkkategorien suggerieren etwas als "unabhängig" bzw. wirklich existent, was in Wirklichkeit vollkommen "abhängig entstanden" ist wie der Buddhismus die "wahre Natur" aller Dinge mit einem Begriff benennt. Das Geschehene ist grauenvoll und die Tat ungeheuerlich. Aber trotzdem gibt es kein wirklich existentes "Gut" hier bzw. "Böse" dort, ebensowenig wie umgekehrt: Was wäre das eine ohne das andere? Es wäre nicht vorstellbar. Einer der großen buddhistischen Meister, Ajahn Buddhadâsa aus Thailand, lehrt etwa: "Wahre Praxis bedeutet, über den Einfluss von 'gut' und 'schlecht' hinaus gelangt zu sein. Denn 'gut' und 'schlecht' sind bloß relative Wahrheiten. Sie gehören genauso zum Strom des Entstehens in Abhängigkeit wie alles andere auch. So sind sie letztlich kein 'Selbst', keine 'Seele', kein 'Ding'. Buddhismus ist die Religion der Leerheit von einem Selbst." Es gibt alleine einen fortwährenden Fluss bedingt entstandener Phänomene ohne jedes "Selbst" darin. Dieses konkrete Allbedingtsein gilt es zu verstehen, wenn man Frieden will. Dazu ist die religiöse und urschriftlich eingebettete Grundsicht des "entweder gut oder böse" ein objektives Hindernis. Die beiden sich wechselseitig bedingenden Gleichsetzungen "wir hier sind gut, die dort sind böse" etwa aller islamistischen Araber und evangelikalen Amerikaner verstellen ihr inneres Gespür für die komplexen Bedingungsabläufe, woran beide Seiten lange beteiligt gewesen sind (auch wenn es in bloß eine große Untat gemündet ist). Ohne dieses wahren "Sinn für die Realität" sind langfristig konfliktlösende Entschlüsse unmöglich. Aus einem inneren Interesse an den
realen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen hinter der Denkschablone
des äußeren "entweder gut oder böse", die
letztlich immer nur dem eigenen "Selbst" dient, ergäbe
sich für beide Seiten Selbstreflektion anstatt Selbstgerechtigkeit.
Dies alleine wäre der Weg zu tragfähigem Frieden in der Welt. |
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