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Der Abdruck des Dialoges erfolgt mit Rolfs freundlicher Genehmigung.
Lieber Hans, In meiner Schopenhauer-Gesprächsrunde vertiefen wir uns zur Zeit in die Frage einer etwaigen Willensfreiheit und des etwa feststehenden (?) Charakters, wie sie die tiefer schürfende Menschheit seit Jahrhunderten kontrovers beschäftigt. Schopenhauer unterscheidet deutlich die Handlungsfreiheit von der Willensfreiheit. Diese verneint er strikt, indem er sagt, dass ich mich zwar nach Abwägungsprozessen verschieden entscheiden, aber letztlich nicht etwas anderes wollen kann als ich will. Dies hieße, ein anderer zu sein, als man ist. Die Freiheit siedelt er allein im "esse" an, nämlich mit dessen sozusagen vor der Geburt frei gewählten intelligiblen Charakter, nicht aber im "operari". Dieses ist stets und unveränderlich vom feststehenden Charakter und den zureichenden Motiven notwendig bestimmt. Dazu und dagegen läßt sich sicherlich vieles sagen. Worauf es mir aber jetzt bei meiner Frage ankommt, ist alleine das, wonach ich aufgrund meiner Neigung zum Buddhismus gerne gefragt werde; nämlich wo und wie hat der der Buddha die Freiheit definiert, angesiedelt und erklärt angesichts all der Bedingtheiten und Karmawirkungen? Zu diesem Thema habe ich in meiner Büchersammlung nichts gefunden, noch bei Gesprächen im Buddhistischen Haus Klarheit gewinnen können. So habe ich mich heute an Marianne Wachs gewendet in der Zuversicht, dass sie als Geisteswissenschaftlerin dieses "Problem" bei ihren Studien der Lehre Buddhas erforscht und zur Klarheit gebracht hat und mir einen Weg über Buchempfehlungen oder ähnliches aufzeigen kann. Da Du aber beim letzten Gespräch dieses Problem sehr interessiert und achtsam aufgenommen hattest, habe ich es Dir hiermit nochmals etwas deutlicher wiederholt. Ich wäre Dir für einen Hinweis sehr dankbar, wenn Du fündig werden würdest. Ansonsten werde ich Dich gerne unterrichten, wenn ich von Marianne auf die richtige Spur gebracht werde. Ohne die "schwankenden Gestalten" klar erkennen und greifen zu können, habe ich bisher nur die Ahnung, dass das Problem mit tieferer Einsicht in "Leerheit" und "Nichtselbst" verlöschen wird. Herzliche Grüße
Lieber Rolf, Der Begriff Freiheit existiert im Buddhismus: "Vimutti" bedeutet "Befreiung, Emanzipation" (Sanskrit "Moksha") Ein bekanntes altes Werk ist der "Pfad zur Befreiung" Vimutti-Magga, der Vorläufer des "Pfades zur Reiheit" Visuddhi-Magga des Theravâda-Gelehrten Buddhaghosa. "Nibbâna" heißt wörtlich "Verlöschen". Damit ist das Verlöschen der inneren Leidursachen gemeint, mithin die "Freiheit" von diesen Leidursachen. Im frühen Buddhismus ist die "negative" Beschreibung von Freiheitszuständen sehr ausgeprägt, mit Begriffen, welche das Fehlen oder Verschwinden des Leidvollen beschreiben. Die meisten Beschreibungen des Nibbâna sind eben solche Metaphern, z. B. "Das Todlose", "Das Ungeborene, Ungemachte, Ungewordene, Unbedingte", "Zerstörung der unheilsamen Einflüsse", "Höchste Sicherheit" oder "Freiheit von den Fesseln". Damit wird im Sinne des universellen Befreiungspfades die innere Aufmerksamkeit auf das gerichtet, was es "negativ" zu überwinden gilt, und weniger auf das, was es "positiv" zu erstreben gilt. Auch werden durch solche, nur das Hinderliche ausschließenden Beschreibungen des Nibbâna unserem Bewusstsein von "Ich und Mein" (das es auf dem Befreiungspfad zu überwinden gilt) keine positiven "Fixpunkte" oder "Identifikationsflächen" gegeben. Denn es bewirkt leicht Identifikationen, wenn das "Positive" von Zielen betont wird, wie es ja das Wort "Freiheit" tut. Außerdem wird die Freiheit, etwas zu tun, nicht selten als möglichst unbeschränkte Entfaltungsmöglichkeit für das Bewusstsein von "Ich und Mein" verstanden. Der Ausdruck "Befreiung" (Vimutti) lenkt dagegen die Aufmerksamkeit im ausschließenden Sinne auf das, wovon es sich zu befreien gilt. Laut dem historischen Buddha ist die primäre innerlich formative Kraft die "Absicht", Chetana. So hat er auch das "Karma" nur kurz als "Absicht" definiert. Absicht oder Karma sind zwar als Willenskräfte in die eigene charakterliche Struktur eingebettet, und dadurch in Schopenhauers Sinne klar bedingt. Doch innerhalb dieser Bedingtheit gibt es immer die Möglichkeit zum "Richtungswechsel" der Absichten oder des Kamma. Das ist wie mit einem fahrenden Zug, der auch seine Richtung ändern kann - nicht ruckartig, aber langsam. Dieser Richtungswechsel wird durch den inneren Befreiungsweg (Ethik, Ruhe und Einsicht) möglich, angeführt von "Trefflicher Sicht". Sie ist eine die wahre Natur der Dinge (den Fluss der Phänomene, deren Ungreifbarkeit, im allumfassenden Nicht-Selbst "Anattâ", die Leerheit "Sunnatâ", das Abhängige Entstehen "Paticcasamuppâda", das, was trägt "Dhamma") zunehmend erfassende, dies heißt "treffende" Sicht. Auf der objektiven Seite sind alle Glieder des Befreiungsweges im Grunde immer bloß kurzzeitige oder auch länger währende innere "Berührungen" dieser Höchsten Wirklichkeit, dies heißt "Einsichten" in sie. Auf der subjektiven Seite (für den sie Berührenden) bedeuten diese Berührungen oder Einsichten die spirituelle Erfahrung des "Unbedingten, Ungewordenen, Ungemachten, Ungeborenen", des Nibbâna. In diesem Sinne des kurzen oder längeren Eintauchens in das Unbedingte sind sie auch nicht bedingt; sondern vielmehr "Aussetzungen" der durch die eigene charakterliche Struktur gegebenen Bedingtheiten. Die Überwindung und Transformation dieser durch die eigene charakterliche Struktur gegebenen Bedingtheiten, also die Befreiung vom Bewusstsein von "Ich und Mein" bzw. von "Durst und Ergreifen", bedeutet das Ende allen Leidens - "Nibbâna", oder, um mit Schopenhauer zu sprechen, die Abkehr des Willens vom Leben. Dann ist der Wille immer weniger durch das Bewusstsein von "Ich und Mein" gebunden, und wirkt zunehmend zum Wohle der Welt. Er ist nicht mehr "karmisch" (bindend oder verstrickend) "aktiv". Warum sich aber das Nicht-Selbst mit der Wirkung eines kurzes oder endgültigen Aussetzens der eigenen Bedingtheiten "berühren", bzw. das Unbedingte "verwirklichen" lässt, ist ein Mysterium. Das Nicht-Selbst oder das Unbedingte sind eben immer präsent; und bloß der Mensch hat die Möglichkeit, sie zu "sehen" und zu "verwirklichen". Man muss natürlich, als Gegenstück zum Bewusstsein von "Ich und Mein", das Nicht-Selbst oder die Leerheit als die Höchste Wirklichkeit anerkennen. Diese ist auch logisch beweisbar. Besonders Nâgârjuna hat dies mit seinem Hauptwerk geleistet (Die Wurzelverse zum Mittleren Weg). Denn ohne diese Anerkennung dieser Höchsten Wirklichkeit kann einem nicht die Möglichkeit einer wahrhaften Befreiung vorschweben. Dies gilt für die meisten, vom Christentum beeinflussten westlichen Philosophen. Deshalb ist in deren Lehren, sowie im Christentum, Erlösung oder Befreiung im Leben auch kein Thema. Ähnlich sind hier Achtsamkeit und Meditation (die Instrumente für diese Befreiung) kein Thema. Diese "Erfahrungsbegriffe" kommen in der ganzen Bibel nicht vor. Sie sind in der Praxisreligion des historischen Buddha zentral. (Dr. Paul Dahlke hat diese Unterscheidung zwischen Glaubens- und Praxisreligion eingeführt.) Schopenhauer gehört nicht zu diesen "typischen" (christlich-)abendländischen Philosophen, weil er die Möglichkeit der inneren Befreiung sieht und lehrt. Entsprechend viele Probleme hatte er aber auch in seiner Zeit und mit anderen Philosophen. Das Christentum hat mit dem Über-Selbst "Gott" einen anderen Begriff von der Höchsten Wirklichkeit, der nicht als inneres Gegenstück zum Bewusstein von "Ich und Mein" wirkt. Dieser Glaube an einen höchsten "Gott", "Herrn" oder "Schöpfer" der Welt wirkt tiefenpsychologisch sogar als die Rückversicherung des Bewusstseins von "Ich und Mein". So sagt "Gott" in der Bibel etwa berühmt: "Ich bin - der - ich bin"; in anderen Worten (psychologisch übersetzt): "Ich bin das Bewusstein von 'Ich und Mein'". Beim gläubigen Lesen der Bibel wird ein in dieser Weise tiefenpsychologisch wirksamer "Dialog" mit der metaphysischen Überhöhung des eigenen Bewusstseins von "Ich und Mein" in Form des Über-Selbst "Gott" geführt. Dieses besitzt in der Bibel auch alle Attribute des gewöhnlichen menschlichen Ichs - es straft, rächt über Generationen, prüft, belohnt, liebt, ist gnädig, aber auch grausam; mit der einen Ausnahme, dass es allmächtig sei (was den Allmachtswünschen des menschlichen "Ich" entspricht und somit attraktiv wirkt). Resüme: Der Gott- und Seelenglaube ist der menschliche Ich- und Mein-Glaube in seiner metaphysisch überhöhten Form, das unbewusst machtvollste Rückversicherungsprojekt des ,Selbst' in der Geschichte. Solange es um ein Selbst geht, sei es ein "kleines" oder ein "großes", ein "konventionelles" oder ein "wahres", ein "teuflisches" oder "göttliches", wird man sich darum drehen. Solan-ge man sich darum dreht, ist man in Rotation: unruhig, unklar - unfrei. In diesem Zustand ist man nicht, was man sein könnte - wahrer Mensch. Herzlich im Dharma |
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