![]() |
Vor der Lektüre dieses Beitrages wird das einleitende "Editorial" (in der Rubrik "Topaktuelles") empfohlen. Hier geht es um die ursprüngliche Situation
der Frau unter Buddhas Anhängern und in seiner Lehre. Die zahlreichen
Entwicklungen der späteren Zeit in den buddhistischen Ländern
Asiens, als sich die Lehre des Erwachten mit den häufig sehr patriarchalischen
Strukturen in diesen Ländern vermengt hat, sind gegenüber
der ursprünglichen Situation zur Zeit der Urgemeinde sekundär.
Denn nur letztere bietet eine verlässliche Orientierung für
die moderne Gegenwart.
Die Grundstruktur von Buddhas Lehre Der Erwachte hat alle Kernlehren des von den Brahmanen getragenen Hinduismus "innerlich" neu gedeutet. Diese Kernlehren beziehen sich auf die spirituell Verwirklichten "Arier (Ârya)" bzw. "Edle", die Reinkarnation und Wiedergeburt im Daseinskreislauf "Samsâra", die endgültige Befreiung vom Daseinskreislauf, das Ursache-Wirkungs-Gesetz "Karma" (wörtlich: "Wirken, Rückwirken"), sowie das kulturübergreifende Befreiungsgesetz "Dharma".1 Der Buddha betont auch: Der Erwachte hat diese Lehren so umgedeutet, dass weder die Kaste noch das Geschlecht für die Fähigkeit, den spirituellen Befreiungsweg zu verwirklichen, ausschlaggebend sind. Im Buddhismus gilt dies für letztlich alle äußeren Formen "der Welt". So lautet etwa eine der drei "Daseinsfesseln" (Samyojana), welche für die beginnende endgültige Befreiung durch den "Stromeintritt" aufzulösen ist: "Anhaftung an Regeln und Riten, Techniken und Methoden", nämlich im Glauben, dass sie heilsentscheidend wären. Durch diese Grundstruktur werden Aussagen des Buddha wie die folgende plötzlich tief nachvollziehbar: "Die Welt hadert mit mir. Ich hadere nicht mit der Welt!" Der Erwachte betont etwa auch (Sutta-Nipâta): "Ein Mensch ist durch sein äußeres Erscheinungsbild kaum zu erkennen. Unter dem Mantel der Wohlbeherrschten können sich Unbeherrschte verbergen. Wie ein nachgemachter Ohrring aus Ton oder wie eine mit Goldglanz überstrichene Bronzemünze tragen einige Menschen attraktive Masken: Innerlich verstrickt, obgleich äußerlich schön." Der Buddha ist religiös wie sozial sehr kritisch. So suchen ihn etwa wütende Brahmanen auf, die sich von seinem schnell wachsenden Einfluss, seiner spirituellen Hochstellung der Frau, sowie seiner Ablehnung des Kastensystems provoziert gefühlt haben.2 Der Erwachte widerspricht den Glaubensvorstellungen der Brahmanen, wonach Frauen letztlich unfähig zu spirituellen Verwirklichungen wären. Auch hat er den brahmanischen Glauben an eine "Göttliche Offenbarung" als Urquelle der hinduistischen Veden zurückgewiesen. Denn im frühen Buddhismus sind die einzigen Formen einer "Gültigen Erkenntnis" die "Drei Weisheiten" (Ti-Paññâ): 1) Durch eigenes Nachdenken oder Wägen erworbenes Verstehen (Cintâ-Mayâ-Paññâ); 2) Durch Hören oder Aufnehmen, Lernen oder Lesen erworbenes Verstehen (Suta-Mayâ-Paññâ); und schließlich 3) Durch Meditation erworbenes oder Intuitives Verstehen (Bhâvanâ-Mayâ-Paññâ). Die Grundvoraussetzung ist hier also das eigene Nachdenken. Ein "medialer Zugang" zu höheren Mächten (wie im Spiritismus), "Göttliche Offenbarung" bzw. "Heilige Schriften" gelten hier nicht als Quellen einer Gültiger Erkenntnis. Dies macht die Rede an die Kalâmer sehr anschaulich klar (Angereihte Sammlung III, 66): "Recht habt Ihr, Kalâmer, dass Ihr da im Unklaren seid und Zweifel hegt! In einer Sache, bei der man wirklich im Unklaren sein kann, seid Ihr es. Folgt nicht als geoffenbart geltenden Lehren, altehrwürdigen Überlieferungen, der Autorität Heiliger Schriften, dem Hörensagen oder der jeweils landläufigen Meinung, reinen Vernunftgründen, Schlüssen aus bloßer Theorie und Logik, einem betörenden 'Charisma' oder der vorgetragenen Größe eines Meisters. Aber wenn Ihr selbst in euch versteht: 'Diese Dinge sind heilsam, förderlich, von den Weisen empfohlen, und, wenn akzeptiert und durchgeführt, bringen sie allseits Nutzen und Glück', solltet Ihr auch demgemäß handeln." Der Buddha lehrt, dass "Brahmane" in Wahrheit alleine der Mensch sei, welcher den inneren Befreiungsweg verwirkliche, unabhängig von Geburt, Kaste oder Geschlecht.3 Nur das ernsthafte Bemühen zähle und die reale Tat. In Hauptreden der fünf Redensammlungen (Nikâya) des ältesten vorliegenden bzw. Pali-Kanons erscheinen viele Argumente gegen das Kastensystem (und letztlich gegen jede gesellschaftliche Trennung infolge "äußerer" Bewertungsmaßstäbe), zum Beispiel dass ein unheilsamer Lebenswandel kastenunabhängig zu geistiger Verstrickung bzw. ein heilsamer Lebenswandel kastenunabhängig zu innerer Befreiung führe. Im besonders populären alten Verswerk Sutta-Nipâta betont der Erwachte (Âmagandha-Sutta), dass "Läuterung" nichts mit Äußerlichkeiten zu tun habe, wie der Ernährungsweise oder Fasten, Kleidung, Haartracht oder Kahlheit des Kopfes, Opfer-, Weihe- und Kasteiungs-Übungen, sowie Rezitationen, sondern ausschließlich mit der Auflösung der geistigen "Fesseln" (Samyojana). Im Vâsettha-Sutta dort heißt es, dass zwar Pflanzen und Tiere vollkommen unterschiedliche Arten oder Formen hätten, nicht jedoch die Menschen. Denn ihnen allen wären etwa die gleichen Körperteile zueigen. Die trotzdem gezogenen Unterscheidungen würden auf Konventionen oder "Benennungen für den Weltgebrauch" beruhen. "Brahmane" sei lediglich, wer (ob nun Mann oder Frau) "mit Geduld gewappnet und aufwallungsfrei ist, an den Dingen nicht hängt wie das Wasser nicht am Lotusblatt, die geistige Bürde abwirft, den Weg und Abweg kennt, weise in sich hineinsieht, Gewalt weder bei Schwachen noch bei Starken übt, nicht tötet oder töten lässt, inmitten von Gewalttätigen friedfertig bleibt, inmitten von Raffenden nicht greift, Gier und Hass, Eigendünkel und Heuchelei von sich abgleiten lässt, wahrhaftig ist, nichts Nichtgegebenes nimmt, ungefesselt von Sehnen nach dieser oder jener Welt ist, hangfrei still in sich ruht, im Wissen vom Zweifel erlöst ist, kurzum im Todlosen lebt." Der Erwachte schließt diese Aufzählung so: "Die Weisen schauen die Bedingtheit des Entstehens, die Tat und deren Folge. Die Welt wird durch die Tat bewegt. Der Lauf der Menschheit gründet alleine im Tun." So gibt es hier keinen Willen eines höchsten Gottes, der in diesen "Lauf der Menschheit" eingreifen kann. Der Mensch hat "es in der Hand". Diese ganze Grundstruktur der buddhistischen Lehre macht bereits aus sich heraus klar, dass mit ihr keine Wertunterscheidung möglich ist, was die Befreiungsfähigkeit der Geschlechter betrifft. Doch diese gleichsetzende Grundhaltung des Erwachten wird in den alten Quellen auch ausdrücklich und dabei einhellig betont:
Die spirituelle Gleichstellung Der Erwachte ist der erste spirituelle Meister im alten Indien, der Frauen in größerem Maßstab aufgefordert hat, den inneren bzw. universellen Befreiungsweg zu gehen (auch sein Zeitgenosse Jina, der Begründer des Jainismus, doch weniger stark). Der Buddha gründet einen Frauenorden, der zu beträchtlicher Größe kommt. Eine zentrale Unterstützungsquelle seines Ordens bildet eine Reihe reicher Laienanhängerinnen. Eines der frühesten buddhistischen Werke sind Die Freudenausrufe der Erwachten Frauen (Therîgâthâ) des Pali-Kanons. In diesem Werk und den Theragâthâ der Männer werden auch die Biografien der hier in Freude ausrufenden Erwachten genannt. Demnach sind sie häufig aus verachteten Kasten der hinduistischen Gesellschaft zur Urgemeinde des Buddha gekommen. Die höchste Autorität nach dem Erwachten in der Leitung des Ordens etwa ist Upali, der einer solchen Kaste entstammt. Wer auch immer den Inneren Weg ernsthaft geht, dem- oder derjenigen müssen laut dem Befreiungsgesetz "Dharma" früher oder später höchste, befreiende Verwirklichungen zuwachsen. So betont der Buddha klar (Systematische Sammlung): "'Gerade zum Ziel führend' lautet der Name dieses Pfades. 'Freiheit von Furcht' heißt das Land, wohin er führt. Der Streitwagen für diese Fahrt ist der 'Stille Läufer', mit den wohlgefügten Rädern des ernsthaften Bemühens. 'Bewusstheit' ist das Stützbrett auf dem Wagen und 'Achtgeben' das Schutzgewand für den Fahrenden. Was zum Heilsziel hinfährt, heißt der Innere Weg. 'Treffliche Sichtweisen' sind die Zugpferde. Sei es eine Frau, sei es ein Mann: Wer auch immer mit diesem Streitwagen fährt, wird damit in die Gegenwart des vollkommenen Erwachens gelangen." Der Buddha macht auch keinen wirklichen Unterschied zwischen den Laien (ob Frau oder Mann) und den Ordinierten. So sagt er etwa4: "Es gibt heute nicht bloß ein, zwei, drei, vier oder fünf hundert Frauen und Männer unter der Laienanhängern, welche mit der Auflösung der geistigen Fesseln die Endgültigen Befreiungsstufen verwirklicht haben. Ihre Zahl ist ungleich größer." An anderen Stellen wird sogar zu einzelnen Gruppen von Laien oder auch einzelnen Orten eine hohe Zahl endgültig Befreiter genannt. Hier ist wohlgemerkt nicht die ordinierte bzw. "engere" Gefolgschaft gemeint, sondern Laien, die im gewöhnlichen Leben stehen. Solche Aussagen verdeutlichen auch: Das weitverbreitete Urteil, der ursprüngliche Weg des Erwachten wäre in erster Linie ein Weg für die Ordinierten, ist ein Mythos, wogegen es diverse klare Stellen gibt. Im Mahâparinibbâna-Sutta der Langen Sammlung (Rede 16) spricht der Buddha etwa hinsichtlich des Ortes Nâdikâ von mehr als 650 Männern und Frauen im Laienstand, welche die höchsten Befreiungsstufen verwirklicht haben. Dazu ist es für sie alleine, beim Aufnehmen der Befreiungslehre, oder während der meditativen Praxis gekommen. Ähnliches hat für viele Orte mit Anhängern des Erwachten im alten Indien gegolten. Die berühmte, unmittelbar auf die Meditation bezogene Rede vom Bewussten Ein- und Ausatmen5 ist zum Abschluss einer intensiven Praxisperiode der Ordinierten gegeben worden. Einleitend äußert sich der Buddha höchst erfreut über die während dieser Zeit eingetretenen Verwirklichungen.
Die geschlechtslose Naturarbeit In der Lehre des Erwachten zählt unabhängig von äußeren Formen bloß die reale innere "Leistung" oder "Persönlichkeit". Die große Botschaft ist: Ob Frau oder Mann, wer den Inneren Weg ernsthaft geht, muss nach dem Zeitlosen Gesetz "Dharma" früher oder später befreiende Verwirklichungen erfahren. In der Systematischen Sammlung betont die voll erwachte Wanderasketin Soma (1, 5.2): "Welchen Unterschied macht es denn, Frau zu sein, wenn der Geist sich klärt und das Intuitive Wissen erblüht, indem man den Dharma tief versteht? Wenn hier noch einer denkt: 'Ich bin eine Frau' oder 'Ich bin ein Mann' oder 'Ich bin doch etwas in jedem Fall', wird man den Kräften der Verblendung unterliegen."
Verwirklichte Laienanhängerinnen Ein besonders aufschlussreiches Beispiel zu den hochverwirklichten Laienanhängerinnen des Buddha ist der Harem des Königs Udena (Dhammapada-Atthakathâ 2, 1; und Udâna-Atthakathâ 7, 10). Die Frauen des Harems sind in einer Feuersbrunst umgekommen, was dem Erwachten zugetragen wird. Er sagt, dass in diesem Falle der Tod der Frauen nicht allzu tragisch wäre. Denn die meisten von ihnen hätten bereits eine der Endgültigen Befreiungsstufen verwirklicht. Das wiederum bedeute, dass sie in ihrer kommenden Existenz den inneren Befreiungsweg unter den günstigsten Umständen weitergehen oder beenden könnten. Diese und andere Aussagen des Pali-Kanons stellen auch die angebliche Sinnesfeindschaft des frühen Buddhismus in Frage. Es sind hier sinnlich lebende Frauen gewesen, die in großer Zahl die Endgültigen Befreiungsstufen verwirklicht haben. Denn der Buddha betrachtet nicht die Sinneserlebnisse an sich selbst als das Problem, sondern lediglich jede zwanghafte (verlangende, abstoßende oder gleichgültige) Haltung ihnen gegenüber. Wenn hier die meisten Frauen einer einzigen Gruppe die höchsten Ziele des buddhistischen Weges verwirklicht haben, liegt auch folgendes nicht fern: Dass wahrscheinlich die Mehrheit unter den hochverwirklichten Laienanhängern des Erwachten Frauen gewesen sind. Es gibt noch andere Fälle, die in diese Richtung weisen: Khema etwa ist die Hauptgefährtin von Bimbisâra, des Königs von Magadha (das Königreich, wo der Buddha in erster Linie gewirkt hat). Khema und Bimbisâra sind dem Erwachten ergeben. Khema verwirklicht das volle Erwachen (nicht nur eine der Stufen vorher) im Laienstand, bevor sie erst danach die Ordination annimmt. Es gibt weitere Laienanhängerinnen, die voll erwacht sind. Der dem Buddha besonders ergebene Bimbisâra hat "bloß" den "Stromeintritt" realisiert, die erste der Endgültigen Befreiungsstufen. Auch gelingt Bimbisâra dies erst später als seiner Gefährtin Khema das volle Erwachen. Der Erwachte hat Khema für ihre Weisheit höchst gepriesen. Zu der Kürzeren Sammlung der Reden des Buddha im Pali-Kanon gehören auch die beiden Werke Vimâna-Vatthu (Wege zum Himmel), und Peta-Vatthu (Das Buddhistische Totenbuch). Das Vimâna-Vatthu beginnt mit 50 Berichten über die Tugenden der Frauen. Danach kommen 35 Berichte über die Tugenden der Männer.
Die weiblichen Arhats Die Quellen des Pali-Kanons erwähnen viele Fälle von "Arhats" (voll Befreite) unter den Frauen, welche das Laienleben aufgegeben und sich dem Orden des Erwachten angeschlossen haben. Manche von ihnen (wie Patachara und Somâ) gelten als herausragende Lehrerinnen mit eigenen Gefolgschaften. Sie können offenbar selbst ihre Anhänger zum vollen Erwachen führen, ohne dass der Buddha oder einer dessen männlicher Meisterschüler hinzukommen müsste. Die Wanderasketin (bzw. Bhikkhunî) Dhammadinâ
unterweist ihren früheren Ehemann Visâkha, der ein wohlhabender
Kaufmann und ein buddhistischer Laienlehrer mit größerer
Anhängerschaft ist. Er stellt Dhammadinâ eingehende Fragen
zur Lehre und Praxis (Mittlere Sammlung, Rede 44). Eine seiner
Fragen beantwortet Dhammadinâ etwa mit dem Hinweis, dass die angenehmen,
unangenehmen oder neutralen Gefühle im Sinneskontakt nicht das
Problem seien, sondern unsere zerrüttende (innerlich und äußerlich
"rotieren" lassende) Tendenz zu Verlangen, Abneigung und Gleichgültigkeit,
welche aus den Gefühlsreaktionen im Nichtsehen von deren fließender
Natur entstehe. Deshalb gehe es also lediglich darum, diese Tendenz
aufzulösen, nicht die Gefühle selbst. Ihre Antworten berichtet
Visâkha später dem Erwachten, der sich höchst erfreut
äußert, mit der Begründung, dass er jeweils genau das
Gleiche gesagt hätte. |
© 2005 Hans Gruber | web by: connexion, s.r.o. |