Der Weg des Buddha - Dharma:

"Das, was trägt"



Der "Erwachte", was "Buddha" bedeutet, hat seinen kulturübergreifenden oder zeitlos gültigen Weg lediglich "Dharma" (Das, was trägt oder hält) (1) genannt. Er hat selber keinen Ausdruck gewählt, der unserem westlichen Begriff "Buddhismus" vergleichbar wäre. Der Begriff "Buddhismus" ist eine Schöpfung der abendländischen und unbewusst auf wissenschaftliche Untersuchungsdistanz bringenden Sichtweise seit dem 19. Jahrhundert.

Dies heißt: Der historische Buddha hat sich nicht als Begründer einer neuen "Religion", eines neuen Glaubenssystems, oder einer neuen Philosophie verstanden, sondern als Kanal eines universell gültigen oder kulturübergreifenden spirituellen "Naturgesetzes".

In ähnlicher Weise haben ihn auch die Anhänger dieses von ihm aufgezeigten Dharma betrachtet; und nicht bloß seine Anhänger, sondern offenbar alle zeitgenössischen Lehrer. Dies galt für die ganze Zeitspanne der ersten fünf Jahrhunderte nach ihm (etwa 6.-5. Jh. v. Chr., Indien). Denn in dieser frühen Epoche (bis zu unserer Zeitenwende) ist der einzige Terminus, der in der ganzen altindischen Literatur (verfasst von den Anhängern seiner Lehre sowie den anderen Lehrenden) für die Einsichtspraxis gemäß den Lehren des "Buddha" (des zur höchsten Realität "Erwachten") vorkommt, lediglich "Dharma".

Dieser Schluss ergibt sich aus den neuesten, computergestützten Recherchen. Erst nach unserer Zeitenwende (als die philosophischen Richtungen des Mahâyâna-Buddhismus (2) und die Scholastik "Abhidhamma" (3) der buddhistischen Schulen einflussreich wurden) kamen Bezeichnungen auf, die unserem modernen Terminus "Buddhismus" vergleichbar waren. Denn in dieser späteren Epoche entwickelten sich die konzeptgestützten "Systeme".


Tsongkhapa

Der große tibetische Lama Je Tsongkhapa (1357-1419), Begründer der Gelugpas, denen die Dalai Lamas angehören. Innere Mongolei, um 1700


Tsongkhapas Handgeste symbolisiert das "Drehen des Rades des Dharma", der Befreiungslehre des Buddha, der natürlichen Wahrheit.


Die Folgerung:

Zur Zeit des historischen Buddha und noch ungefähr fünf Jahrhunderte danach galt er nicht bloß als ein großer Meister, sondern als der reine Kanal für das innere Gesetz des Lebens, das er restlos aufgezeigt hat. Er galt als ein Mensch, welcher die höchste Realität verwirklicht hat, das "vollkommene, unübertreffliche Erwachen" (samyak-sam-Bodhi). Dieses Erwachen hat ihn befähigt, einen universell gültigen oder kulturübergreifenden Praxisweg zur Befreiung von Herz und Geist (Herzgeist "Chitta") zu weisen. So ist der Erwachte lange Zeit praktisch von allen gesehen worden - wahrscheinlich, weil damals der universelle Weg in breitem Maßstabe Früchte getragen hat. Und so sollte er auch heute im Abendland wieder gesehen werden. Diese Website ist ein Beitrag zu dieser neuen, alten Sicht.

"Dharma" bedeutet wörtlich "das, was trägt oder hält". Man kann den Begriff auch freier mit "das, was heilt" übersetzen. Wer dieses kulturübergreifende Gesetz der Natur individuell in zunehmendem Maße erschaue und in praktischer Weise beachte, verwirkliche die wahre Befreiung des eigenen Herzgeistes inmitten der sowie für die Welt. Dieser "innere Weg" (wie bei den Tibetern der Pfad des Erwachens heißt) ist folgendes Dreigespann - ethische Motivation (Sîla), geistige Ruhe (Samâdhi) und intuitives Wissen (Paññâ).

Sie entspringen als Ganzheit der Quelle einer "trefflichen Achtsamkeit" (sammâ Sati), welche das wahre Wesen aller Dinge zunehmend "trifft". Im Buddhismus geht es um einen Weg, der allmählich in Harmonie mit der fließenden, letztlich nicht tragfähigen, dies heißt ungreifbaren oder leeren Natur aller Dinge kommt. Wer dadurch erwacht zum befreiend erfahrbaren "Alles fließt" der Erscheinungen (in dem von jeder Trennung freien "Nicht-Selbst" aller Dinge), entwickelt sein Potenzial zum "wahren Menschen" (Sappurisa) oder "Edlen" (Ârya).

Der Erwachte verwendet den besonders hochschätzenden Ausdruck "direkter und eine Weg" (Ekayâno Maggo) alleine für diese Praxis einer trefflichen Achtsamkeit:

"Dies ist der direkte oder eine Weg zur Läuterung der Lebewesen, zum Überwinden von Traurigkeit und Wehklagen, zum Verschwinden von Leiden, Angst und Unzufriedenheit, zum Erlangen der wahren Methode, und zur Verwirklichung des Nirvâna, nämlich die vier Vergegenwärtigungen der Achtsamkeit."

Diese vier Vergegenwärtigungen sind das Körperliche, die Empfindungen oder Gefühlsreaktionen, die Geistesqualitäten, und die natürlichen Wahrheiten.

Der historische Buddha hat auch mit seinen eindringlichen Abschiedsworten ein letztes Mal die treffliche Achtsamkeit hervorgehoben. Denn sie bildet die Quelle der inneren Befreiung, die im wachsenden intuitiven Sehen der Natur aller Dinge liegt:

"Seid Euch selbst führendes Licht, seid Euch selbst Freiort, nehmt nichts anderes als Freiort. Nehmt den inneren Weg als führendes Licht, nehmt den inneren Weg als Freiort, nichts anderes. Und wie könnt Ihr Euch selbst Freiort sein?

Bleibt fortwährend verankert in eingehender Betrachtung des Körperlichen im Körperlichen, entschlossen, klar wissend und achtsam gegenwärtig, um alles Verlangen und Bekümmern hinsichtlich der Welt abzulegen. Das Gleiche gilt für die Empfindungen, die Geistesqualitäten, und die natürlichen Wahrheiten. Diejenigen, die jetzt oder zukünftig auf diese Weise leben, werden das Höchste verwirklichen. Was ich als den Weg verkündet und erläutert habe, wird nach meinem Fortgang Euer Lehrer sein. Zuletzt sage ich Euch: Flusshaft-vergänglich ist alles bedingt Entstandene. Erarbeitet Euch unermüdlich die Befreiung."

In der Achtsamkeitslehre des Erwachten geht es um das nicht-dualistische Wahrnehmen oder "volle Erspüren" (pati-sam-vedî) der körperlichen und geistigen Prozesse. Damit wird ihre fließende, ungreifbare, von Substanz oder "Selbst" freie Natur verstanden. Entscheidend dafür ist die Praxis des bewussten Ein- und Ausatmens. In der Lehre des historischen Buddha ist sie die "Dachbewusstheit", ein in sich bereits vollständiger Befreiungsweg.  

Tsongkhapa

Die letzte Attacke:

Die "Mächte" der Abneigung, des Verlangens und der Verwirrung haben den Buddha kurz vor seinem höchsten Erwachen ein letztes Mal attackiert, wie die Legende erzählt.

Aber seine Herzensbefreiung blieb unerschütterlich. Die Hand weist zur Erde, in der "Geste der Anrufung der Erde als Zeuge".

Ein Hinweis, dass seine geerdete Bewusstheit unerschütterlich wie die Erde selber ist.




Anmerkungen:

1) Laut der Pali-Überlieferung. Pali ist die Sprache der ältesten vollständig überlieferten Redensammlungen des Buddha. Diese fünf Sammlungen (Nikâyâs) bilden den Kern des "Pali-Kanons", der Textbasis des frühen Buddhismus Theravâda (Lehre der Ältesten). Er ist die heute in Südostasien und Sri Lanka maßgebliche buddhistische Tradition. Die Achtsamkeits- oder Einsichtspraxis Vipassanâ (wörtlich "höheres Sehen, intuitives Verstehen") ist die einflussreichste Meditation des Theravâda. Auf dieser Website wird statt Pali "Dhamma" das bekanntere Sanskrit-Wort "Dharma" benutzt. [zurück]

2) Das "Große Fahrzeug" Mahâyâna umfasst die nach unserer Zeitenwende im alten Indien und China entstandenen buddhistischen Traditionen, die heute in Zentralasien und Fernost maßgeblich sind. Die im Abendland einflussreichsten Formen des Mahâyâna sind der tibetische (einschließlich des tantrischen) Buddhismus und der Zen. [zurück]

3) Der "Abhidhamma" ist einer der drei Bestandteile bzw. "Körbe" des frühbuddhistischen Pali-Kanons. Vom wissenschaftlichen Standpunkt gehen die beiden Körbe der Reden des Erwachten (in ihren fünf Sammlungen "Nikâyas") und der Ordensdisziplin "Vinaya" weitgehend auf den historischen Buddha selber zurück, nicht der dritte Korb des Abhidhamma.
Dieser letztere Korb umfasst die psychologischen, erkenntnistheoretischen und scholastischen Werke. Es sind letztlich erklärende Kommentare zu den Aussagen des historischen Buddha. Diese umfassend einteilenden Texte sind ab dem "Zweiten Konzil" von Vaishâlî im 4. Jh. v. Chr. verfasst und in den fünf Jahrhunderten unserer Zeitrechnung zum definitiven Abschluss gekommen. [zurück




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